„Medizin als göttliche Gewalt“ ist eine der Tendenz nach libertäre, politisch-philosophische Kritik der Corona-Politik von Heinz-Martin Schönherr-Mann, einem Professor der Ludwigs-Maximilian-Universität München (LMU) aus dem Jahre 2022, welche auf eine sehr eindrückliche Weise den gedanklichen Zusammebruch eines einzelnen Philosophen, aber ebenso stellvertretend eines ganzen linksliberalen, postmodernen Gedankenkreises aus der Nachkriegszeit und mit ihr zusammen eines bestimmten „antiautoritären“ Millieus nahelegt, aus dem sich sehr viel über unsere Zeit und die Zukunft lernen lässt. Die Exposition dieser Erkenntnisse soll hier vollzogen werden, in steter Kommunikation mit dem, was ich Liminal-Philosophie nenne, ohne sie aber als solche vorauszusetzen, eher auf sie zuzuführen. Ich möchte hier auch noch auf eine geschwisterliche Schrift zum Heideggerianer Peter Trawny verweisen, in welcher ich dessen Ausführungen zur Klimabewegung, die denen von Schönherr-Mann ähneln, ebenfalls kritisiere (auch wenn sie nicht so desaströs sind wie die von Schönherr-Mann); in beiden Fällen geht es um die Abrechnung mit prototypisch postmoderen, „antiautoritären“ Babyboomern und ihre ideologische Kurzsichtigkeit, die Schriften setzten sich ebenfalls nicht gegenseitig voraus, sind aber inhaltlich verbunden. Bevor hier an die eigentliche, inhaltliche Kritik an „Medizin als göttliche Gewalt“ begonnen werden soll, möchte ich einige Punkte hervorheben, Punkte, welche einem möglichen Eindruck entgegenwirken sollen, der aus dieser (doch recht scharfen) Kritik erwachsen könnte.
- Es ist mutig, wertvoll und lobenswert, gegen den Strom zu schwimmen – sei es gegen den gesamtgesellschaftlichen politischen Diskurs, gegen den Diskurs der Universität oder auch gegen den prototypischen linken politischen Diskurs, und das gilt insbesondere auch von Philosophen innerhalb einer Gesellschaft, deren Aufgabe es ja ist, die Gesellschaft fundamental und aus Gründen folgernd infrage zu stellen. Philosophen müssen, nicht unähnlich Soldaten und Feuerwehrleuten sogar besonders mutig sein. Von subversiven Tätigkeiten und Akten lebt die Philosophie und indirekt über sie auch die ganze Gesellschaft, wenn „Philosophie“ in einem etwas breiteren Sinne verstanden wird. Eben das hat Schönherr-Mann in seiner Schrift über Corona auch getan, und allein aus diesem formalen, vom Resultat und seiner inhaltlichen Bilanz absehenden Betrachtung muss es anerkannt werden, was Schönherr-Mann hier gesagt, geschrieben und getan hat. Es war mutig und kritisch, ja.
- Auch ist klar, dass die Corona-Zeit insgesamt schwer war, für die Riskogruppen, für die Kranken, die Toten, für die Angehörigen, für alle. Das Verzeihenkönnen und sich kritisch hinterfragen nach dieser schweren und entbehrungsreichen Zeit ist ein zwischenmenschliches Kunststück, mit dem wir kaum angefangen haben, nun wo alles vorbei ist. Selbst jetzt, wo der Spuk sich gegelegt hat, ist es noch eine Herausforderung, diesen Vorgängen denkend und vernünftig zu begegnen. Unter der Bedingungen der Pandemie aber selbst zu denken, zu sprechen und zu schreiben war aber ein Denken mit dem Rücken zur Wand, und so mit der entsprechenden Gefahr der emotionalisierten Kopflosigkeit verknüpft gewesen: Wir haben alle, jeweils auf eine eigene Weise in der Zeit Unsinn gedacht, gesagt, geschrieben und getan. Viele, so wie ich, haben auch den „Kopf in den Sand gesteckt“, lieber eskapistisch andere Themen philosophisch bearbeitet oder gar nicht mehr philosophiert, weil viele Gedanken zur Corona-Krise auch eher verdreht, zu kurzsichtig, hastig, unfertig und überfordert wirkten, eben als Ausdruck eines Denkens, welches auf einer somatischen Ebene angegriffen fühlte. Die vernünftigsten und erwachensten Menschen haben angefangen, Fake News unkritisch weiterzuleiten, die friedlichsten Menschen haben begonnen sich gegenseitig fertig zu machen oder geradezu tyrannisch zu werden. Angst vor dem Virus, Angst vor der Macht der Gesellschaft, dann viel Wut und Hass aufeinander prägten für Monate und Jahre den Diskurs der Welt allenthalben. Beiträge wie dieser von Schönherr-Mann sollten, so finde ich, vor diesem Hintergrund bewertet werden, als eine Art waghalsiges denkerisches Abenteuer in einem Moment, der für lichte Gedanken nicht der Beste gewesen ist. Aber selbst unter diesem Gesichtspunkt ist das, was Schönherr-Mann in diesem Bändchen teilweise schreibt, von allen guten Geistern verlassen.
- Trotz dieser Faktoren möchte ich auch hervorheben, dass m.E.n. das in diesem Beitrag geäußerte Denken nach formalen und fachmännischen Kriterien der Philosophie „gutes Handwerk“ ist, d.i. es beruht (überwiegend) nicht auf einer Verdrehung der rezepierten Literatur und vollzieht Interpretationen, Deutungen und Thesen der Geschichte und Gegenwart nicht anders, wie viele andere Philosophen auf Lehrstühlen, Seminaren und Kolloquien es tagtäglich tun. Es werden politische Positierungen und Deutungen vollzogen, wie es eben in der Philosophie geschieht. Dieser Umstand ist von Gewicht, weil aus ihm und der angesetzten Kritik einige Konsequenzen folgen werden, die über Schönherr-Mann und seinen Text hinausgehen. Ist seine Interpretation und seine Berufung in der Deutung der Corona-Krise auf vergangene Denker – gemeint sind linksliberale Größen der Nachkriegszeit Levinas, Adorno, Foucault, Arendt, Derrida nämlich fachmännisch einwandfrei oder korrekt, so sagt das mehr über diese früheren Denker und ihr Erbe und Wirkung aus denn über Schönherr-Mann. Das soll nicht zwingend bedeuten, dass diese Denker sich während der Corona-Zeit selbst ebenso geäußert hätten, wie Schönherr-Mann, sehr wohl aber, dass in deren Texten, die nicht mehr antworten und sich korrigieren können ein bestimmtes, gefährliches Potenzial liegt, dass Schönherr-Mann entfaltet hat.
- Auch möchte ich hinzufügen, dass ich die übrigen der vielen Werke von Schönherr-Mann nicht kenne. Es mag sein, dass ich seine „negative Ökologie“ alsbald lesen werde, um einen tieferen Einblick in dieses Denken zu erhalten.
Nachdem dies gesagt ist, möchte ich nun zur inhaltlichen Analyse übergehen. Was in jenen schmalen Heftchen angesehen werden kann ist nun, wie ich finde, nicht weniger als eine gedankliche Implosion, der Einblick in eine gefährliche, politisch-philosophische Umnachtung, eine deutliche Kostprobe: „Freilich versucht die Corona-Politik den Ausnahmezustand zu bestreiten. Doch dass die demokratischen Staaten diese Maßnahmen parlamentarisch absegnen lassen, ändert nichts daran, dass damit die Medizin-Eliten die Macht über den Ausnahmezustand erhalten. Auch der Reichtstag von 1933 hat das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte Ermächtigungsgesetz mit einer Zwei-Drittel Mehrheit abgesegnet.“1. Die Corona-Politik mit der demokratischen Machtübertragung an die Nazi-Herrschaft zu vergleichen, so sehr von den liberalen Bürgerrechten vereinahmt zu sein, dass sogar zuletzt das Demokratieprinzip zurückgestellt, und ja, effektiv sogar in Frage gestellt wird2 – (denn die Corona-Politik war in Deutschland eine durchweg transparente, von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragenen demokratische Entscheidung), markiert den vollständigen Abschied von den gemeinsamen, humanistischen und aufgeklärten Werten unserer Gesellschaft, ein Abgleiten in den libertären Rechtsextremismus. Das Interessante aber ist, dass diese gedanklich-politische Verirrung Schönherr-Manns nicht durch eine positive Bezugnahme auf die faschistische oder sonstige Vergangenheit geschah, sondern tatsächlich auf dem Boden ebenjener aufgeklärt-humanistischer Werte, ja sogar der Werte von 68 erfolgte, und jener oben genannten linksliberalen Denker der Nachkriegszeit. Was ihn antreibt, ist nicht anderes als ein schwäbisch gesagt bodenständiger, teilweise mit progressiven Momenten versehener (Links-)Liberalismus. In Schönherr-Mann drückt sich die prototypische, bei Babyboomern und anderen Zeitzeugen des Realsozialismus und Stalinismus anzutreffende „antiautoritäre“ Haltung aus, welche ambivalent wie sie ist ebenso auch positive Blüten trieb, in die antiatomare Friedensbewegung, die Kritik der NS-Vergangenheit und die liberale Demokratisierung der Gesellschaften führte; nur dass sie hier, zugespitzt in dieser politische Notlage, unter dem Eindruck der Notfallmaßnahmen in diesen menschenverachtenden Unsinn umschlug und damit den heutigen Nazis und ihrer rechtslibertären Kritik der Corona-Maßnahmen entgegenkam. Diese merkwürdige Kehre, diese Umwendung des (links-)Liberalismus in die rechtsoffene Paranoia ist aber kein Einzelphänomen, es ist näher betrachtet dieselbe Typologie des individualistischen und kollektivfeindlichen Misstrauens, welches auch die sogenannten Covidioten hatten oder haben, nur diesmal in bildungsbürgerlicher Sprache, bewaffnet mit dem ganzen Arsenal der philosophischen Tradition und unter Abzug unmittelbarer konspirativer Wahnvorstellungen. Daher lässt sich an Schönherr-Mann tatsächlich „das Vernünftige“ an diesen Bewegungen studieren, und es lässt sich auch studieren, welche (typischerweise bei Babyboomern) anzutreffenden Traditionsstränge der Politik und Weltanschauung, welche aus dem 20. Jahrhundert und dem siegreichen Liberalismus herrühren – also Foucault, Adorno, Levinas, Arendt, Derrida unter bestimmten Bedingungen destruktive, menschenverachtende und fatale Wirkungen haben, somit als Ideologie fungieren können. In Anlehnung an die von Schönherr-Mann selbst getätige Überleitung ist diese destruktive Seite des (Links-)Liberalismus und Postmodernismus nach der Art der Nachkriegszeit nicht nur bei weiteren Pandemien und ähnlichen Katastrophen zu erwarten, sondern gerade auch bei der wohl größten Herausforderung der kommenden Zeit: Der aufziehenden Klimakatastrophe, eine Katastrophe, welche mit weitem Abstand gefährlicher ist als Corona und doch mit derselben Form von selbstauferlegter Dummheit, Individualismus und Verantwortungslosigkeit begangen wird, die während der Corona-Politik mit Schönherr-Mann in der Minderheitsposition war. Insofern haben sich heute die Positionen verkehrt: Die Libertären wie Schönherr-Mann waren während Corona das schwächere, von der Mehrheit in Schach gehaltene Glied, während die Kollektivisten für diese Zeit der Ausnahme die Oberhand hatten, in der Klimakrise haben die verantwortungslosen Libertären die Oberhand und die Klimabewegung wird unterdrückt und muss gegen den Strom der Gesellschaft ankämpfen.

In Kurzfassung ist die Kritik also folgende: So ist die in Medizin als göttliche Gewalt getätigte Überlegung a) grundweg falsch, inwiefern sie den Liberalismus in Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit pervertiert und den Nationalsozialismus mit samt seinen Folgen verharmlost b) gefährlich, inwiedern Schönherr-Mann dabei gekonnt mit der philosophischen Tradition den menschenverachtend-liberalistischen Impuls vieler Menschen, also namentlich der Covidioten und gegenwärtigen und künftigen Gegner der Klimamaßnahmen füttert, c) zukunftsweisend, inwiefern an ihm studiert werden kann, wie linksliberale, antiautoritäre und postmoderne Autoren der Nachkriegszeit (also insbesondere Levinas, Adorno, Foucault, Arendt, Derrida) ideologisch und menschenverachtend werden können, sowie die verschiedenen politischen Strömungen, welche sich in ihnen manifestieren, d) symtopmatisch, weil an ihm der geistige Brandtherd, das Missbrauchspotenzial der oben genannten linksliberalen Autoren und damit eines bedeutenden Teils unserer philosophisch-politischen Tradition studiert werden kann. Es ist das in unsere Zeit hineinwirkende 20. Jahrhundert selbst, dass im (Neo-)Liberalismus mündete und heute als ökozidaler, a-nihilistischer Neoliberalismus Tod und Zerstörung über die Welt bringt.
Die Kritik an diesem Buch wird im Hintergrund mit einer weiteren, gewagteren und breiteren These stehen, welche es deutlich überschreitet – dass nämlich der Linksliberalismus, der Antiautoritarismus und der Postmodernismus, sowie die damit verbundenen „großen Namen“ – Adorno, Levinas, Foucault, Arendt, Derrida aus dem 20. Jahrhundert mittelfristig überholt sind, ja die eminente Gefahr eines gedanklichen Konkurses in sich bergen, wenn sie unüberlegt „gebraucht“ werden. Die Lage hat sich seit der Nachkriegszeit radikal geändert, aber schon damals war die Tendenz ihrer Gedanken fragwürdig (nämlich recht offen prowestlich orientiert). Wer heute nicht von diesem platten Linksliberalismus und individualistischen Antiautoritarismus abspringt, weiter vor dem „Autoritarismus“ warnt und dabei Kollektivismus meint, ihn sogar in demokratischen Entscheidungen, von demokratischen Wahlen verwirklichten Empfehlungen von Experten oder überhaupt in wissenschaftlichen Thesen zu erkennen wähnt, wird diesem sinkenden Schiff aus dem vergangenen Jahrtausend in die Tiefe gerissen, d.i. stimmt in den Rechtsruck der Gesellschaft ein, der heute libertäre Gedanken instrumentalisiert. Das will nicht sagen, dass der Liberalismus insgesamt für tot erklärt werden sollte, sehr wohl müssen aber die Gefahren in diesem Gedankengut dringend überdacht und gründlich reflektiert werden. Mit dem Liberalismus, genau wie auch durch den antiautoritären Moralismus und Pazifismus ist man keineswegs auf der „sicheren Seite“, sondern kann sich auf den Weg der menschenverachtenden Verantwortungslosigkeit begeben, insbesondere bei den künftigen Herausforderungen für die Menschheit. Eben diese „größere These“ ist eine zentrale Diagnose der von mir ersonnenen sogenanten Liminal-Philosophie, die sich an Badiou anlehnt und kollektivistisch, demokratisch und egalitär gesonnen ist und sich gerade als philosophische Verteidung der Werte von 68 gegen den allgemeinen Sturm von Rechts versteht. Sie findet also in der Kritik an Schönherr-Mann einen Punkt ihrer Bestätigung, – ebenso aber auch einen Anwendungsfall, in einer hermeneutischen Spirale befindlich, wo das Ganze den Teil und das Teil das Ganze beleuchtet. Der symmetrische Antagonismus zwischen der Liminal-Philosophie und den von Schönherr-Mann entwickelten zerstreuten, wohl etwas impulsiven Gedanken im Ausgang von Postmoderne und Nachkriegs-Linksliberalismus ist so eminent, dass die zusammengetragenen Überlegungen des Professors in der Tat in Spiegelschrift zum Ausdruck bringen, was die „richtige“ Reaktion, die „angemessene“ gedankliche Verortung in der philosophisch-politischen Vergangenheit gewesen wäre, und auch, was für die Klimakrise ersucht werden müsste (nämlich den Alptraum von Schönherr-Mann wahr zu machen). Das zeigt sich an keinem Punkt der Entscheidung, der gedanklichen Parteinahme deutlicher als an Rousseau, der von Schönherr-Mann explizit als gefährlicher, „totalitärer“ Kollektivist verworfen wird,3 aber in der Liminal-Philosophie durch sein Eintreten für die Demokratie und seine Einschränkung der individuellen Rechte als eminent positiver Bezugspunkt genommen wird, bei Benjamins Vorstellung der revolutionären „göttlichen Gewalt“ ist es nicht anders bestellt, sie wird dann aber in einem davon gesonderten Stück, der Philosophie der Unwahrheiten entwickelt. Eine interessante Anekdote dürfte sein, dass die Liminal-Philosophie selbst während der Corona-Zeit und meiner Auseinandersetzung mit Rousseau entstanden ist, der mich als Rückbezug eben gerade von diesem unreflektierten, an Adorno und Levinas anknüpfenden Linksliberalismus fortgeführt und in die Wertschätzung der – so Schönherr-Mann „totalitären“ Demokratie geführt hat; und nun, weiter der Spiegelschrift folgend, als möglicher Plan zur Lösung der Klimakrise denkbar bleibt. Was die Umweltfrage betrifft, haben sich die Mehrheitsverhältnisse deutlich umgekehrt: Liberale und verantwortungslose Kräfte wie Schönherr-Mann sind am längeren Hebel, die kollektivistischen und demokratischen Kräfte sind die subversive, gegen den Strom ankämpfende Minderheit.
Das nähere vorgehen ist das folgende: Erst (1) sollen einige allgemeine Merkmale besprochen werden, welche in Schönherr-Manns Diskurs anzutreffen sind, also etwa sein Linksliberalismus, der intuitionistische Charakter seiner Kritik, seine Skepsis gegen Wissenschaft und Demokratie, sowie die typischen Marker für das Denken von Babyboomern. Anschließend (2) gilt es schrittweise die Auseinandersetzung Schönherr-Manns mit den Denkern der Vergangenheit zu studieren, somit zu beurteilen, ob er ihr Denken richtig interpretiert, was das wiederum von den Denkern der Vergangenheit selbst besagt und natürlich für ihre Stellung in der gegenwärtigen Zeit, behandelt werden vor allem Levinas, Foucault, Arendt, Adorno. Überwiegend (mit Ausnahme von Adorno) ist meine Kritik also nicht die eines „nicht richtig gelesen habens“, sondern „sehr wohl richtig gelesen habens“, durch welche jene Denker für unsere heutige Zeit in ihrer unmittelbaren oder naiven Form als verdächtig zu gelten haben. Diese genanten Größen kenne ich unterschiedlich gut, entsprechend wird auch die Beurteilung dieser Rückbezüge Schönherr-Manns unterschiedlich scharfsichtig und sicher sein. Dem stehen andere Denker – Benjamin, Rousseau und die klassische Philosophie gegenüber, welche in dieser Schrift „schlecht“ wegkommen und von Schönherr-Mann verwendet werden, um das Vorgehen der von ihm verhassten Corona-Politik zu beschreiben. Zuletzt (3) gilt es die Umweltfrage und sein Verhältnis zur (nach Schönherr-Mann) „gehorsamen“ Jugend, d.i. insbesondere Fridays for Future zu bearbeiten, die im letzten Kapitel der Abhandlung von Schönherr-Mann besprochen wird. In diesem Zusammenhang wird auch die Überleitung in die positive Umdeutung der von Schönherr-Mann geäußerten Idee der „göttlichen Gewalt“ zu tätigen sein.
Allgemeines
- Der Kern des Gedankenguts, welches Schönherr-Mann ausbreitet, ist zunächst liberal, d.i. es versteht sich aus der Berufung auf die Menschenrechte und überhaupt die Abwehrrechte gegen den Staat, dann auch die Gewaltenteilung, welche, so Schönherr-Mann, in der Coronapolitik durch eine willkürche und tyrrannische Bevormundung zertrampelt worden sind. Diese Bevormundung gehe einerseits von den Ärzten und Experten aus, andererseits durch das Kollektiv selbst, also von der Demokratie. In dieser Positionierung entspricht Schönherr-Mann also dem Grundtenor der politischen Denkweise, welche vom Anbeginn des bürgerlich-liberalen Denkens an die westlichen Demokratien geschaffen hat und vor allem auch den Neoliberalismus prägte, der sich nach dem Scheitern von 68 ausbreitete – vielleicht die stärkste politische Kraft in westlichen Gesellschaften, das wirkmächtigste Erbe des 20. Jahrhunderts. Die Grundidee ist etwa die, dass das Individuum in seiner Eigenheitssphäre belassen werden muss, dass es sich frei mit anderen austauschen, paaren und verknüpfen darf. Insofern ist Schönherr-Manns Denken alles andere als außergewöhnlich. Außergewöhnlich ist nur die Quantität oder Intensität dieser gemeinüblichen Überzeugung im Angesichts der Tiefe des gesundheitlichen Notstandes. Schönherr-Mann ist ein Extremist der (liberalen) Mitte, des Common Sense, der selbst in der äußersten Gefahr und in der äußersten Absurdität seiner Konsequenzen nicht von diesen Überzeugungen abrücken will. Am Charakter, dass es ein liberaler Diskurs ist, lässt sich auch etwa seine allgemeine Tendenz subsumieren, permanent kollektivistisches und autoritäres Denken zusammenzuwerfen, sich der klaren Unterscheidung beider effektiv zu verweigern. Für Schönherr-Mann ist jeder Zugriff auf das Individuum etwas schlechtes, egal ob es von der Demokratie oder von einer transzendenten Autorität herkommt, was man schon auf Anhieb in seiner antidemokratischen Tendenz erkennen kann. Das Ich steht über allem.
- Weiter ist zu konstatieren: Es ist ein linksliberaler Diskurs. Linkliberale Diskurse „konstruieren“ meist als Antagonisten einen autoritär-ungleichen Diskurs, also idealtier etwas nach der Form einer feudalen, absolutistischen oder faschistischen Herrschaft, ein „wohlfunktionierendes System“ oder eine Entsprechende „Weltordnung“ und setzen dem einen antiautoritär-linken Streben entgegen, das der Vielheit, Freiheit, Gleichheit und Individualität (sehr gut ist das etwa bei Negri und Hardt zu studieren). In diesem Zusammenhang ist zu nennen, dass sich Schönherr-Mann auch auf die 68er-Bewegung positiv bezieht, welche das Individuum und den Antiautoritarismus in den Mittelpunkt rückt, das kollektivistische und sozialkritische Moment, dass sich etwa im Maoismus zeigte, wird aber unterschlagen. In diese Richtung geht auch der allgemeine Vorwurf des antihedonistischen protestantischen Puritanismus gegen die Klimabewegung: Er will sich dagegen 68er-mäßig für Freiheit, Lust und Individualität einsetzen. Das linke oder egaliäre Moment ist dennoch gegenüber dem liberalen Moment unterrepräsentiert. Ihn scheint es überhaupt nicht zu interessieren, dass Risikogruppen besonders geschädigt werden. Insgesamt schlägt aber der linksliberale Diskurs, da er in der Corona-Zeit geäußert worden ist, in eine Annäherung an die rechtslibertären Kräfte um. Er folgt damit der Tendenz von vielen ehemals Grünen „Covidioten“, welche aus einer Skepsis gegen die Technik und die kapitalistische Entfremdung zuletzt in die Impfgegnerschaft und die Klimaskepsis einmündeten.
- Ein sehr zentraler Punkt ist die Wissenschaftsfeindlichkeit, für welche Schönherr-Mann neben verschiedenen Stichwortgebern der Epistemologie und Naturwissenschaft auch selbst bestimmte mathematisch-naturwissenschaftliche Erkenntnisse zitiert, oder besser, umdeutet. In gemeinüblicher, populärer Verdrehung der Tatsachen wird etwa die heisenbergsche Unschärferelation, die Relativitätstheorie und die Grundlagenkrise der Mathematik herangezogen, um das wissenschaftliche Weltbild zu diskreditieren.4 Es ist ein Paradebeispiel dessen, was Althusser als die Möglichkeit der Implosion des wissenschaftlichen Weltbildes kritisierte, wenn eine wissenschaftliche Revolution geschah, eine Gefahr, welche sich historisch immer wieder stellte, wo die Wissenschaft einen Punkt der Anschaulichkeit überflügelte. 5 Die Unanschaulichkeit wird zum Anlass genommen, die Erkenntnisfähigkeit der Natur selbst zu bestreiten. Diese Punkte dürften eine ausführliche Kritik einfordern, aber um kurz und bündig zu bleiben, so hat weder die Quantenphysik noch die Entdeckung der Transzendenz der Widerspruchsfreiheit der Mathematik bei Gödel irgendetwas am klassischen wissenschaftlichen Weltbild verändert, im Gegenteil. Es gibt einige Interpretationen, welche sogar naheliegen, dass der quantenmechanische Charakter den Determinismus der Natur sogar untermauert,6 und von Gödels Unvollständigkeitssätze wurden von ihm selbst, und später insbesondere von Badiou auch berechtigerweise als Resultat erkannt, welches den Anspruch der Mathematik, die an sich seiende Realität zu erkennen, sogar erst wirklich beweist (dazu möchte ich auf einen anderen Artikel von mir verweisen). Schönherr-Mann sucht sich, was diese Dinge betrifft, also gezielt wissenschaftliche Resultate und Epistemologien zusammen, welche die Wissenschaft selbst unterminieren oder so stark wie möglich einschränken und relativieren. Im Zentrum steht die Bescheidung der eigenen Unwissenheit und so der (ökologischen und gesundheitspolitischen) Verantwortungslosigkeit. So ist man zuletzt auf das unwissende Individuum zurückgeworfen, welches typisch postmodern „keinen Überblick“ hat und diese selbst eingebildete Dummheit moralingesäuert zur Tugend erklärt. Die Wissenschaftsfeindlichkeit und der Liberalismus von Schönherr-Mann stützen sich dabei effektiv gegenseitig: Denn niemand, der ernsthaft überdenkt, auf welches klimatische Szenario wir zusteuern, was natürlich durch die Annahme einer Epistemologie gestützt wird, die das Ansichsein denken kann, wird am Liberalismus oder einem moralistisch-pazifistischen Anarchismus / Antiautoritarismus ernsthaft festhalten können; wird das Wissen aber nur auf die Eigenheitssphäre reduziert, so ist der Liberalismus eine naheliegende politische Option, weil man ja so wenig wisse. Umgekehrt führt der Liberalismus gerne dazu, dass das Wissen und der Zugriff auf die Welt irgendwie relativiert und eingeschränkt wird, weil man damit ja über die eigene Sphäre hinausgeht, die ein Echo des kleinbürgerlichen Besitzes darstellt.
- Der Charakter der Kritik ist im ganzen intuitionistisch. Dieser Begriff, der in der Mathematik verwendet wird, um konservative Einschränkungen der Beweiskraft formaler Systeme um die Fähigkeit zum Widerspruchsbeweis zu beschreiben, kann nur in analogisierender Form von epistemologischen oder politischen Haltungen prädiziert werden. Im Kern besagt er, dass Schönherr-Mann das politische und wissenschaftliche Denken auf die subjektive Sphäre reduzieren will, also auf die Ebene der Eindrücke, der Sprache und der inneren Denkakte. Das Ansichsein wird dagegen ebenso verworfen, wie eine Politik, welche das Individuum überschreitet oder in es einfällt. Der Intuitionismus ist, in dieser analogisierenden Form verstanden, ein Grundcharakter liberalistischen und konservativen Denkens überhaupt, wie er auch etwa beim postkolonialen Denken und Tendenzen der dritten Welle des Feminismus anzutreffen ist. Er findet sich typischerweise im (transzendentalen) Idealismus und Empirismus vor, einer von Althusser zu recht scharf kritisierten Strömung der Wissenschaftsauffassung7 und steht dem Platonismus und Materialismus entgegen. Man bescheidet sich permanent der eigenen Grenzen. Der Intuitionismus lässt sich nun in der Mathematik tatsächlich widerlegen, insbesondere durch das von Cohen entdeckte Forcing hat sich gezeigt, dass die Mathematik mehr denken kann als nur die Eigenheitssphäre oder auch die Ebene der Zeichen. Inwieweit dieser Umstand über die Mathematik hinaus für die ganze Wissenschaft maßgebend sein mag, hängt von der philosophischen Interpretation der Mathematik ab, ob sie, wie Badiou es sagt und in der Liminal-Philosophie angenommen wird, einfach dasselbe ist wie die Ontologie. Dass alles nur Zeichen und Sprache ist, zumindest für einen Fall, die Mathematik zu enkräften. Wenn Schönherr-Mann den Weg des Intuitionismus geht, um die „Katastrophenstimmung“ und „Panikmache“ in der Corona-Krise und der Klimakrise in eins zu kritisieren, so kann er sich jedenfalls nicht auf theoretische oder wissenschaftliche Gründe berufen, welche den Intutionismus positiv entscheidbar machen. Er sucht sich diese Position mit voller Absicht.
- Es gibt in Schönherr-Manns einige äußerst vielsagenden Ausführungen zum Generationenkonflikt, in welchem er sich wiederfindet. Genannt wird die Generation derjenigen, welche noch die Weltkriege erlebten, sowie dann auch die jüngeren Angehörigen der Klimabewegung, außerdem die 68er. Er selbst ist als 1952er durchweg ein Boomer, somit zwischen diesen Generationen befindlich, am nächsten aber den 68ern. Sie alle, so Schönherr-Mann, hätten sich durch ein erschreckendes Maß an Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen ausgezeichnet, durch gehorsam oder Autoritarismus, wie er es selbst nennt. Diesen Umstand führt er, was die Weltkriegsgeneration betrifft darauf zurück, dass diese ja selbst die Kriege und großen Katastrophen erlebt hätten und somit das Gehorchen nicht mehr aus den Knochen kriegen. Bei den Jüngeren, also insbesondere den Aktivisten der Klimabewegung spricht er aber auch von einem erschreckenden Maß an Gehorsam, und nimmt es zum Anlass, von einer Gemeinsamkeit von Ökologie und Gesundheitspolitik zu sprechen, die tatsächlich vorliegen mag. Tatsächlich ist diese Weichenstellung keineswegs ungewöhnlich. Die Baby-Boomer wie Schönherr-Mann sind überhaupt, durch die Erfahrung der 68er, des Konkurses des Stalinismus, der nuklearen Bedrohlichkeit des Ost-West-Konflikts und die Neoliberalisierung getragen, tendenziell „antiautoritär“ gesonnen und grenzen sich so von denen ab, welche die Weltkriege erlebten (wie Badiou), sowie der jüngeren Generationen, welche den Ernst der Klimakastastrophe und die Gefahr des faschistischen Umsturzes der westlichen Demokratien verstanden haben (so wie ich). Und insofern vollzieht sich in den Post-68er oder besser Post-Wende Generationen tatsächlich eine „Wiederkehr“ von Gedanken, die aus der düsteren Weltkriegszeit bekannt sind. Die 68er und kurz darauf lebenden Menschen, denen Schönherr-Mann selbst angehört, sollen zwar auch, so Schönherr-Mann ebenfalls erstaunlich gehorsam sein, sie sind aber, wie die vielen Covidioten zeigen, eher „antiautoritär“. Das will nicht sagen, dass es nicht auch viele Ausnahmen in dieser vereinfachenden Darstellung der Generationen gibt: Babyboomer, die den Ernst der Lage verstanden haben, antiautoritäre GenZ oder anderes; es geht hier um eine bloße Tendenz. Diese Vorahnung von Schönherr-Mann wird sich auch in der Liminal-Philosophie wiederspiegeln, welche an Alain Badiou, einem Philosophen der Weltkriegsgeneration anknüpft.
Interpretation der Denker der Vergangenheit
- Ausführungen zu LEVINAS (insbesondere Kapitel 1): Eine wichtige Grundlage ist der Ethische Individualismus oder besser Antikollektivismus von Schönherr-Mann, welcher dieser fachmännisch an Levinas anknüpfen lässt. In der Tat findet sich bei Levinas eine aus dem Gedankenkreis der Totalitarismuskritik entstammende Auseinanderlegung mit dem Problem des Kollektivismus, welcher darin mündet, den Staat, sowie jegliche Form der Subsumption von Menschen unter einen Begriff als „Gewaltvoll“ zu begreifen. Im Auge hatte er insbesondere den Nationalsozialismus und den Stalinismus. Eben jenen Gedanken, welche im Angesicht der größten Schrecken des 20. Jahrhunderts gebildet worden sind und Levinas damals in eine pro-westliche, liberalistische und moralistische Haltung getrieben haben, werden nun reaktiviert, nun auch in direkter Auseinandersetzung mit dem Tragen der Virenschutzmasken. Sie stelle nicht nur eine Belastung dar, sondern Störe auch bei der (bei Levinas) wesentlich menschlichen Tätigkeit schlechthin, der Kommunikation und Rede. Die Menschen werden mit Maske „gleich“ und damit eben gerade keine „Anderen“, vor denen, wie man von Levinas hört, die ethische Verpflichtung individualisiert ausgehen würde, insbesondere vom Gesicht oder Antlitz aus. Er beruft sich neben Levinas auch auf andere individualistische Ethiker des 20. Jahrhunderts,8 und stellt sie den Ethiken gegenüber, in denen das Individuum der Gemeinschaft untergeorndet wird und welches Regeln aufzwinge. Aus diesen könne keine ethische Verbindung entstehen und keine Zwischenmenschlichkeit. Klar ist: All diese Bezugnahmen auf Levinas haben ihre tiefe Berechtigung, Levinas ist tatsächlich der „individualisierende“ Ethiker schlechthin. Sehr fraglich ist aber, ob Levinas tatsächlich jene Maßnahmen derartig verurteilt hätte, und ob er nicht begonnen hätte, die Grundtendenz seiner ethischen Überlegungen abzuändern oder „Ausnahmeregelungen“ für Notzustände einzuführen. In jedem Fall bieten die von Levinas entwickelten moralistischen Gedanken, werden sie nicht mit weiteren Momenten versehen, eine erhebliche Gefahr für jegliche Form von Politisierung und Vergemeinschaftung dar, zuletzt für jede Art von revolutionärem Handeln. In Rücksicht auf die späteren Überlegungen zur Umweltfrage ist dieser Faden wieder aufzunehmen und das Produktive an Levinas herauszufiltern.
- Zu FOUCAULT: Foucault, mit dem ich mich nur schlecht bis gar nicht auskenne, bildet zweifellos das begriffliche Zentrum von Schönherr-Manns Kritik der „Medizin“ und „Hospitalisierung“. Schon in der Begriffswahl werden hier eindeutige Weichen gestellt. Dass nun Foucault die Medizin, sowohl in Form der Psychatrie, der Sexualwissenschaft als auch der übrigen Zweige von Foucault als „Machtdiskurs“ dekonstruiert wurde, dann zur „Biopolitik“ im Ganzen aufgebläht worden ist, welche die moderne Gesellschaft präge ist wohlbekannt. Weniger bekannt dürfte sein, dass Foucault diese „Dekonstruktion“ der Expertenherrschaft unmittelbar auch mit besonderen Überzeugungen verband, etwa die Überzeugung, dass es das AIDS-Virus nicht gibt, woran er zumindest zu Beginn der Seuche offenbar festgehalten hat. Die Kritik der Biopolitik, mit samt ihres wissenschaftsskeptischen Moments hatte also schon damals Tendenzen, welche in die Kritik von Schönherr-Mann überleiten. Ähnliches gilt auch von Foucaults Begriff des Panoptikums und des Disziplinarregimes, welche gegen die staatliche Datensammelwut und Kontrollwahn platziert werden. All diese Rückbezüge, die wohl nahtlos an den historischen Foucault anknüpfen scheinen nahezulegen, dass jene älteren kritischen Begriffe – Biopolitik und Medizinisierung, die doch weiterhin an Popularität an den typischen sich progressiv nennenden westlichen Universitäten nicht eingebüßt haben, mit großer Vorsicht zu genießen sind. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass die Ärzte zwar nicht alles richtig machen, sehr wohl aber in der Lage sind, ungefähr vorherzusagen, was Viren tun, welche Menschen krank werden und sterben können und wie sie bekämpft werden können; dass überhaupt die Wissenschaft in der Lage ist, in gesellschaftlichen Fragen eine Orientierung über den Handlungsspielraum zu bieten. Das ist natürlich nicht immer gegeben, und der Missbrauch der Wissenschaft und Medizin hat keineswegs urplötzlich aufgehört. Die Vorstellung, dass das Konzept der Wissenschaft schlechthin eine Konstruktion sei, um Macht über andere Menschen auszuüben, muss aber verlassen werden. Die Medizin und Wissenschaft hat nur deswegen das Potenzial zum autoritären Missbrauch, weil sie in den überwiegenden Fällen in der Lage ist, die Wirkungen bestimmter Faktoren auf menschliche Körper einzuschätzen, auch das gibt ihr überhaupt die Möglichkeit zum Missbrauch, sowohl durch das technische Können und ihren „guten Ruf“. Abgesehen davon, dass auch in den Zeiten von Foucault die meisten Patienten nur bei Einwilligung behandelt werden konnten, so gilt insbesondere auch von der Corona-Zeit, dass die Prognosen und Empfehlungen der Ärzte nicht in Gestalt einer souveränen Macht vollstreckt worden sind, sondern durch das demokratische Kollektiv realisiert worden sind. Die meisten Patienten, und so auch die deutsche und allgemeine Bevölkerung willigten in die Maßnahmen ein, sie haben selbst entschieden, sich durch die Wissenschaft leiten zu lassen.
- Zu ADORNO (Kapitel 4): Zu Adorno sind die anknüpfenden Ausführungen eher knapp, sie finden sich insbesondere am Ende des Buches, bei der Behandlung der Umweltfrage, im Kontext einer allgemeinen Kritik der (natur)wissenschaftlichen Erkenntnisse. Neben Adorno werden auch Feyerabend und andere in der Aufgabe zitiert, an eine „Selbstreflexion“ der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu mahnen, dass man all diese Dinge, wie etwa die aufziehende Klimakatastrophe, gar nicht so gut kenne und gar nicht so gut verstehe. Mit Adorno lasse sich, so Schönherr-Mann einwenden, dass naturwissenschaftliche Begriffe nicht den realen Dingen entsprechen würden, und das sei der Klimabewegung direkt entgegenzuhalten. Schönherr-Mann beruft sich auch spezifisch auf die modernere und weniger illusorische negative Dialektik Adornos im Unterschied zur positiven von Marx und Hegel. Wenn es eine „Nichtübereinstimmung“ von Begriff und Ding gibt, so müsse eine moderne Ökologie eben gerade von ihrem Unwissen um die Natur (und somit von der Verantwortungslosigkeit) ausgehen, so scheint es Schönherr-Mann zu fordern. An dieser Stelle muss nun, gegen den allgemeinen Trend der Abhandlung von Schönherr-Mann hervorgehoben werden, dass hier ganz unmittelbar eine Fehlinterpretation von Adorno zugrunde liegt. Adorno hat selbst, sich unähnlich Horkheimer und Marx, zwar die Übereinstimmung von Ding und Begriff verworfen, aber nie die Fähigkeit der Naturwissenschaften bestritten, richtige Vorhersagen zu treffen und insofern den möglichen Rahmen der eigenen politischen Handlungsweise abzustecken. Nein, Adorno und Horkheimer verraten nicht die Aufklärung und das materialistische Weltbild, wie Schönherr-Mann es aus ihnen folgern möchte. Eine allgemeine Skepsis gegen die Wissenschaft und ihre Glaubwürdigkeit, wie sie Schönherr-Mann aus der negativen Dialektik herausdestilliert, erinnert vielmehr an die von Heidegger entwickelte antiaufklärerische und mythologische Technik und Wissenschafts-Kritik, die stets das Unwissen und die Beschränktheit der menschlichen Kenntnisse predigte, auf die er später ebenfalls affirmativ zu sprechen kommt. Für Heidegger – und Schönherr-Mann versinken wir stets in einem Meer aus Unwissen, Rätselhaftigkeit und einer katastrophisch-ereignishaften Natur, daher ist die Klimakatastrophe im Grunde auch keine Veränderung gegenüber der Zeit vor ihr. Hier zeigt sich überdeutlich eine von der Liminal-Philosophie vertretene Annahme, dass nämlich der Heideggerianismus und überhaupt die Kritik der Aufklärung, die häufig auch in der ökologischen Bewegung existiert, eigentlich viel besser zu den Gegnern der Ökologie, also libertären Denkern wie Schönherr-Mann passt, welche die Anwendung der Wissenschaft auf den wissenschaftlichen Diskurs unterbinden wollen. Seine „negative Ökologie“ ist – zumindest aus dem folgernd, was in Medizin als göttliche Gewalt geschrieben steht, eine Aufkündigung der Aufklärung.
- Zu DERRIDA: Schönherr-Mann nennt seinen Eingriff eine „Dekonstruktion“ und bezeichnet sie als maßgeblich durch Derrida motiviert.9 Die inhaltlichen Übernahmen von Derrida sind aber auf konkretere Aspekte kaum herunterzubrechen, außer eben auf den allgemeinen Aspekt, dass der Anspruch des Wissens zurückgestellt, und damit eine gewissermaßen sophistische Sphäre vieler Wahrheiten eröffnet wird.
- Zu ARENDT (insbesondere Kapitel 1): Auch bei Arent, einer weiteren positiven Bezugsgröße, sind meine Kenntnisse eher dünn. Schönherr-Mann knüpft an Momente von ihr an, welche aber mit ihrem aristotelisch-phänomenoligischen Liberalismus und Totalitarismuskritik unmittelbar verknüpft sind. Insofern der Mensch nach Arendt vor allem durch seine Sprach- und Kommunikations- und Politikfähigkeit bestimmt ist, scheint sie eine liberalistische, den Totalitarismus verwerfende Politik zu fordern, die aber, so Schönherr-Mann, gerade in der Corona-Politik unterminiert worden ist. Klar ist, dass das individualistische und liberalistische Menschenbild von Arendt an der Corona-Krise an seine Grenzen geriet; und auch künftig an der Klimakrise den Charakter einer echten politischen Hürde annehmen wird.
- Ausführungen zur KLASSISCHEN PHILOSOPHIE (Kapitel 2): Der erste Sammelpunkt für Schönherr-Manns Kritik, seine erste wesentliche Abgrenzungsfolie in der Vergangenheit bilden seine Ausführungen zur klassischen politischen Philosophie, welche, wie er richtig sagt, im Allgemeinen eine Unterordnung des Individuums forderte und die Expertenherrschaft anempfahl. So wird entsprechend Platon und Hobbes herangezogen, Leo Strauß und überhaupt beinahe die gesamte abendländische Tradition mit ihren autoritären Vordenkern, die tatsächlich als Antagonisten zu individualistischen Ethikern wie Levinas gut taugen. Hans Jonas und Lenin werden als linke Denker zitiert, welche die Expertenherrschaft fordern und ebenfalls der „Mündigkeit“ der Bürger entgegen sind und die zu kritisieren wären. Sie zu kritisieren dürfte heute wenig kontrovers sein, – die gesamte humanistische und aufgeklärte Tradition des Abendlandes hat seit der bürgerlichen Revolution solche autoritären Herrschaftsformen verworfen und verurteilt. Völlig irreführend aber ist, die in der Corona-Krise geübte Politik als eine solche „autoritäre Herrschaft“ oder Diktatur zu kritisieren, die in diesem Fall von souveränen Ärzten ausgegangen sei. Dass die Politik nicht von tyrranisch-„souveränen“ medizinischen Ärzten geleitet worden ist, sondern von einer breiten demokratischen Mehrheit mit legitimer Souveränität, welche die Maßnahmen befürwortete weiß Schönherr-Mann aber auch selbst sehr gut, er wird auch im Folgenden zu einer Kritik der Demokratie weiterziehen, was insbesondere an Rousseau vollzogen wird. Der Vorwurf der autoritären Diktatur ist dennoch wohlplatziert, denn Schönherr-Mann möchte gerade darauf hinaus, dass es eine innige Verbindung zwischen dem diktatorischen Herrschaftsprinzip der Experten gibt, dass in der klassischen Philosophie von Platon bis Hobbes herrschte, und jener Idee der Demokratie des Volkes. Hierin drückt sich wieder das prototypische „liberale“ Symptom aus, Autoritarismus und Kollektivismus ständig zusammenzuwerfen.
- Ausführungen zu ROUSSEAU (Kapitel 4): Der wohl interessanteste negative Referenzpunkt für Schönherr-Manns Theorie bildet nun Rousseau, es ist der Punkt, wo eine klare Partei ergreift – gegen die Mehrheitsgesellschaft und die Demokratie. Die Corona-Politik als die Herrschaft von Experten zu diskreditieren, wie als hätten sich einige Ärzte zu Königen oder zur diktartorischen, leninistischen Einheitspartei erklärt, ist klarerweise falsch, führt aber Werte wie die Ablehnung der Tyrranei an, welche bei allen Widerhall finden würden. Schönherr-Mann geht aber nun zur Kritik der Demokratie über, die ja auch faktisch während der Corona-Politik aktiv und tätig war, und so kommt er auf Rousseau zu sprechen, als dem großen Denker der Volkssouveränität. Für Schönherr-Mann ist nun die Volonte General und die sich darin äußernde Stimme des Volkes kein legitimer Herrscher, welcher nach der Aufklärung die Stelle des (Gott-)Königs säkularisierte, sondern eine bedrohliche, metaphysische Figur, welche sich illegitimerweise an die Stelle Gottes stellt. Rousseau sei voller totalitärer Tendenzen, die hohe demokratische Zustimmungsrate zur Corona-Politik wird mit „sowjetischen Verhältnissen“ verglichen. Schönherr-Manns „Einordnung“ der Cornoa-Politik als ein Akt der Demokratie, eine Tätigkeit der Volonte General scheint nun in der Tat sehr zutreffend zu sein; und möglicherweise zeigt sich sogar daran ein Stück „sowjetischer“ Mentalität. Auf der gegenüberliegenden Seite des politischen Spektrums stehend, sollte diese richtige Einordnung aber zum Anlass werden, vielleicht gerade jene Idee der „Volonte General“ und der „sowjetischen Verhältnisse“ zu affirmieren, wenn es daran geht, die Klimakrise zu lösen. Es ist vielleicht eine richtige Ahnung von Schönherr-Mann, dass nach dem Ende der Religion in der Demokratie diejenige Figur erblickt werden sollte, welche den Status Gottes einst innewohnte; ein Souverän, an dem wir alle individuell Anteil haben und der als Quell aller Werte und Normen anzusehen ist.
- Ausführungen zu BENJAMIN (insbesondere in der Einleitung, S. 3f.): Benjamins Begriff der göttlichen Gewalt ist tatsächlich der Ursprung des Namens dieses kleinen Bandes, Schönherr-Mann sieht nun, wie sich zeigt, im Expertentum der Mediziner eine ebensolche souveräne, göttliche Gewalt, die wie Benjamin sie beschreibt „rechtsvernichtend“ und „rein“, ja geradezu „gewaltlos“ sei. Diese Rückbeziehung ist auffällig, besonders deswegen, weil Benjamins Konzeption der göttlichen, vernichtenden Gewalt keineswegs wie bei Schönherr-Mann negativ, sondern positiv, als etwas progressives konnotiiert ist. Die Revolution, das Aufschlagen eines neuen Zeitalters beginnt mit einer ebensolchen „göttlichen Gewalt“, welche insbesondere als revolutionärer Generalstreik alles Recht (und damit bei Benjamin etwas negatives) hinwegfegt und aufhebt. Die Merkwürdigkeit dieser negativen Aneignung Benjamins verstärkt sich noch dadurch, dass Benjamin eine recht anarchistische Grundtendenz hat: Eben diese „göttliche Gewalt“ zerstört nicht nur das Recht, sondern auch den Staat und schafft so erst die menschliche Freiheit. Eben diese aufbrechende, den Ausnahmezustand herbeiführende Tendenz findet Schönherr-Mann nun aber gerade problematisch: Er liebt eben gerade „das Recht“ und sehnt sich nach den geordneten Verhältnissen zurück! Schönherr-Manns merkwürdige Umdeutung, welche ohne Kommentar und Erläuterung versehen wird, lässt es zu, sie allzu kinderleicht in ihrer reaktionären Tendenz zu entlarven, etwa so: Die wahrhaft Unterdrückten, die, wie Benjamin sagt, stets im Ausnahmezustand sind, haben die göttliche, revolutionäre Gewalt nicht zu fürchten. Die Bürgerlichen und Besitzenden sind es, welche sich dem entgegenstellen. Nun ist aber die von Schönherr-Mann auf die Corona-Krise übertragene Figur aber selbst schon fehlplatziert: Weder ist die Corona-Politik nach dem Motiv einer (illegitimen?) göttlichen Gewalt zu verstehen, noch sind die in der Corona-Politik verfochtenen Interessen die der Unterdrückten: Will man die Begriffe Benjamins gebrauchen, so war diese Politik entweder ein Teil der bestehenden Rechtsordnung oder ein Akt der profanen Gewalt, d.i. ein demokratischer Akt, welcher die Partikularinteressen bändigt. Weder wurde ein neues revolutionäres Zeitalter aufgeschlagen, noch intendierte man, ein solches aufzuschlagen, wie es für die „göttliche Gewalt“ Benjamins eigentlich bedeuten würde. Interessant ist nun, dass die bei Rousseau ausgearbeitete Kritik der Demokratie, die Vorstellung also, dass die Herrschaft der Volonte General eine „Anmaßung“ sei, auch mit Benjamin kurzgeschlossen wird, näher lässt sich mit der paradoxen Figur der gewaltlosen Gewalt charakterisieren, wie die Demokratie im Corona-Ausnahmezustand sich selbst begriffen hätte; er sieht also zwischen beiden Figuren eine innige Verbindung. Auch wenn diese aber philosophiehistorisch nicht vorliegt, und auch nicht in der Cornoa-Krise vorlag, so dürfte doch eben jene von Schönherr-Mann paranoid gewähnte Verbindung ein Index dafür sein, wie etwa die künftige Umweltpolitik gestatet werden könnte: Nach dem Vorbild der Verknüpfung der Volonte General und der Idee der göttlichen, revolutionären Gewalt.
Ausführungen zur Umweltfrage / zu den „gehorsamen“ jüngeren Generationen:
Zuletzt soll noch explizit und gezielt auf die Umweltfrage eingegangen werden, eine Thematik, welche in der Liminal-Philosophie eine zentrale Stellung einnimmt und insofern unmittelbar in mein Interessengebiet überleitet; dass die Liminal-Philosophie direkt aus einer pro-demokratischen politischen Abwägung während der Corona-Krise entsprungen ist, wurde erwähnt. Für Schönherr-Mann bildet nun die Corona-Krise und die Art der „autoritären“ Politik, welche während ihrer Dauer vollzogen wurde, eine Art Blaupause für die Ökologie und damit das nächste aufziehende Schreckensbild, in welchem sich die „göttliche Gewalt“ der allmächtigen Demokratie und der Revolution wieder realisieren könnte. Alle Begriffe, mit denen er das „medizinische“ Denken und die angebliche Expertokratie der Corona-Zeit analysierte, sind also ebensosehr als Vorlagen für die Kritik der Umweltbewegung zu werten, die entsprechend auch als „Gehorsam“ eingestuft wird. Schönherr-Manns Ausführungen zur neuen „gehorsamen“ Generation 68, welche sich in Fridays for Future engagiert wurden bereits erwähnt. Er stellt sich die Sache wohl so vor, dass er die jüngeren Generationen darüber belehren muss, dass sie ganz „autoritär“ und „gehorsam“ seien und dass sie von ihm also den richtigen „Ungehorsam“ lernen können. Statt von der Jugend zu lernen, weil sie vielleicht in der Lage ist, seine eingefahrenen Vorstellungen zu überwinden, will er sie, der Babyboomer, über die richtige „antiautoritäre“ Politik belehren, selbst ein absolut „antiautoritäre“ Geste von Schönherr-Mann. Wie absurd dieser Vorwurf ist, mag an der „Letzten Generation vor den Klimakipppunkten“ ermessen werden, welche vor lauter Gehorsam Gefängnisstrafen riskieren, der Schulstreik der Fridays geht in eine ähnliche Richtung. Dass die Postmoderne und alle von Schönherr-Mann aufgefahrenen Vordenker des Linksliberalismus gegen den Neoliberalismus nichts unternehmen konnten, ihn durch ihre Kritik des „autoritären“ Marxismus sogar beförderten, braucht dem eigentlich nicht hinzugefügt zu werden. Wer hier reaktionär und wer hier revolutionär ist, liegt auf der Hand. Tatsächlich tut Schönherr-Mann im Aufbau seiner wahnhaften Schreckensbilder von einer „göttlichen Gewalt“ einen guten Lehrmeister dafür abgeben, was eine gute Klimapolitik wäre – nämlich die Realisierung eine Weltdemokratie, und wenn diese nicht realisiert werden könnte, so einer globalen Weltrevolution, um Nationalstaat, Kapital und andere Strukturen hinwegzufegen. Schönherr-Manns Alptraum sollte als Vorbild dienen und er selbst als negative Leitfigur.
Im Rahmen seines Weltbildes, in welchem Wissenschaft stets wohl etwas „Autoritäres“ ist, und somit die heutige Jugend wohl aus seiner Sicht durch eine Art Wissenschaftsdiktatur geleitet wird, und Kollektivismus praktisch dasselbe ist wie der dikatorische Autoritarismus mag diese Einstufung intern Sinn ergeben. Im Angesicht dessen, dass wir auf ein Szenario mit ungefähr 3 Grad Erderwärmung zusteuern, bei denen an die 3 Milliarden Menschen ihre Heimat verlieren werden – der wohl größte rassistische Anschlag aller Zeiten, führt es die Destruktivittät seiner generellen Attitude, das Scheitern der Postmoderne und seiner Vordenker, wie auch überhaupt der linksliberalen Tradition der Nachkriegszeit endgültig vor Augen. Die Kritik der Wissenschaft mag zu Zeiten der Nachkriegszeit einen gewissen Sinn gehabt haben, in der heutigen Zeit ist sie ein bloßes Mittel zur Verschleierung der Verantwortung und Überdeckung von Herrschaft und Verbrechen. Nicht umsonst hat Nietzsche hervorgehoben, dass das Gedächtnis und die Moral zusammenhängen, Vergessen und Ausblenden ist eine Art der Immoralität und Verantwortungslosigkeit. Eben aufgrund dessen, dass es so viele Menschen wie Schönherr-Mann (oder auch Trawny) gibt, die ständig die Wissenschaft, die eigene Verantwortung und eingreifende politische Maßnahmen ablehnen und damit dem fossilen Kapital als nützliche Idioten zugutekommen, sind wir erst in diesem Schlamassel, diesem globalisierte, schleichenden Weltkrieg aller gegen aller, gegen sie ist politisch gesehen der Umweltaktivismus gerichtet. Nicht das Erkennen von Dingen hat heute etwas Herrschaftliches und Tyrrannisches, sondern gerade das Leugnen des Erkennens. An Schönherr-Mann ist zuletzt deutlich geworden, dass wieder den Punkt zurückgekehrt werden muss, den die Aufklärung einst mal verteidigt hatte: Dass die Wissenschaft einen befreienden Effekt hat, dass sie den Menschen aus dem Dunkel des Aberglaubens, der Knechtschaft und des Verbrechens befreit.
Damit möchte ich direkt zu meinen übrigen Schriften überleiten. Eben diesem Gedanken, dass die Wissenschaft und Aufklärung befreiend ist, ist der theoretische Teil der Liminal-Philosophie und damit vor allem ihr erster Teil verpflichtet, Das Kapitalozän denken. Sie wird entsprechend dieser Weichenstellung alle Formen des Intuitionismus in erkenntnistheoretischer Hinsicht aushebeln, seien sie nun nach der Art des Heideggerianismus oder nach der Art postmoderner Autoren gebildet, wovon es erschreckend viele Modelle gerade auch in der Umweltbewegung gibt. In politischer Hinsicht müssen die verschiedenen liberalistischen und bürgerlichen Irrlehren, der moralistische oder pazifistische Anarchismus (welche ebenfalls in „politischer“ Hinsicht intuitionistisch sind) ebenso aber auch die versucherisch vereinfachenden Lehren des Realsozialismus, also der Marxismus, Leninismus und Maoismus kritisiert werden. Das Fundament dieser gedanklichen Operation wird nun darin bestehen, auf Badiou zurückzukommen, jenem alten maoistischen Knochen aus der Weltkriegsgeneration, wie Schönherr-Mann wohl sagen würde, „Gehorsam“ predigt, in der hiesigen Sprache eher: Bewusstsein der Krisenhaftikeit des Kapitalismus, Bewusstsein, dass es manchmal einen echten Ernstfall gibt und dass die Wissenschaft einen Vorrang vor der Meinung hat und das Ansichsein trifft. Dass Badiou selbst von der Klimabewegung eine ähnliche Meinung wie Schönherr-Mann hat und dabei dem Maoismus treu geblieben ist, ist eine der wesentlichen Anlässe, weswegen die Liminal-Philosophie zwar von Badiou und seiner Kritik an der Postmoderne und des Heideggerianismus ausgeht, aber auch mit ihm bricht, um dem Denken jener jüngeren „gehorsamen“ Generationen Platz zu machen. Die Liminal-Philosophie selbst wird dabei insbesondere den Impuls des Rousseauismus in eine neue, kontemporäre Form gießen und dabei an Badiou anknüpften. Schönherr-Manns negative Rezeption von Benjamin mag dann, im zweiten Schritt über die Liminal-Philosophie und Badiou hinaus als zusätzliche Inspiration der Philosophie der Unwahrheiten dienen, die ohnehin als ein Wiederanknüpfen an Benjamin und seine Konzeption gewaltloser revolutionärer Macht gedacht worden ist.
- Vgl. S. 35. ↩︎
- So beschreibt Schönherr-Mann auf S. 81 die Zustimmungsrate zur Corona-Politik allein durch die hohe Anzahl von 80% als bedrohlich. Es hätten die kritischen Informationen gefehlt, damit ein anderes Urteil von der Bevölkerung hätte gefällt werden können. Der definitive Exzess an antidemokratischen Gedankengut findet sich aber vor, wo er Rousseaus Volonte General, also der demokratischen mit der Stimme Gottes gleichsetzt und als „totalitär“ kritisiert, vgl. ebenda, S. 95. ↩︎
- Vgl. Ebenda, S. 95. ↩︎
- Vgl. Ebenda, S. 102. ↩︎
- Althusser ↩︎
- Vgl. https://www.spektrum.de/news/determinismus-ist-wegen-der-quantenmechanik-alles-vorherbestimmt/2202457; Zugriff am 7. Januar 2024. ↩︎
- Vgl. S. 15f. ↩︎
- Vgl. S. 4. ↩︎
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