Während der Erarbeitung meiner Promotion zur Kritik an Badiou (mein Projekt 3, das Zentrale Projekt, um das alles gruppiert ist) kamen mir, aufgenötigt durch bestimmte politische Verschiebungen, einer dramatischen Zuspitzung des politischen Weltzustandes unter den kapitalistischen Bedingungen einige philosophische Ideen, die ich nicht mehr fallen lassen konnte, und die mir wahrer schienen, als was es im allgemeinen sonst an Universitäten und in den Medien, im rechten wie linken Spektrum an ideologisch-politischen Formationen präsentiert wird. Durch den allgemeinen Wandel des Zeitgeistes durch Corona fort vom „Antiautoritarismus“, dem absehbaren Überschreiten des 1,5 Grad Ziels und damit dem Durchbruch in die Klimakipppunkte, sowie meinem Engagement in der Umweltschutzbewegung sah ich im angesammelten Material zu Badiou und der Geschichte der Philosophie die Möglichkeit, aus Badiou ein neues Verständnis der Zeit und der in ihr dringlichen und zugleich nur eingeschränkt wahren politischen Prozesse zu gewinnen. Dieses „neue Verständnis“ war aber nur durch einen Bruch und einer Perspektivverschiebung im Inneren des von Badiou gedachten Systems möglich, welches ich – gerade durch seine Hypostasis der Werte von 68 für die heutige Zeit als fundamental explanatorisch wiederfand; ein Bruch, der zugleich über die Umweltthematik hinaus noch 2 weitere Perspektiven (auf die Queer-Politik/Feminismus/Antirassismus, den Transhumanismus) zu eröffnen schien, wie sich nach der Abfassung des 1800 Seiten langen „Das Kapitalozän denken“ ergab, das sich nur auf die Umwelthematik konzentrierte. Diesem Gedanken treu folgend, sei hier diese Nebenfrucht meiner Promotion präsentiert, die als Projekt der Liminal-Philosophie gefasst sein soll. Diese entstand aus dem gesammelten Material der Doktorarbeit (und gerade auch meiner endlosen Studien während der Corona-Zeit in Quarantäne), zugleich aber auch, um deren Verständnis zu vertiefen und überhaupt erst zu ermöglichen, welches eben notwendig zeitgebunden ist. Wer heute über Wissenschaft und ihr Verhältnis zur Politik nachdenkt, kann nicht ignorieren, wie sie in der ökologischen Krise mit Füßen getreten wird, von den Politikern, den Unternehmen, den vermeindlich ökologischen Philosophen, den linksliberalen Ideologien des Bildungsbürgertums, den Marxisten und dann zuletzt auch Badiou selbst, der die Klimaforschung in seinen Schriften fast für eine Art bürgerliche Verschwörung hält.
In dem hier vorliegenden Text soll der Entwurf, das Programm, die Skizze der Liminal-Philosophie vorgestellt werden, das mein erstes Hauptprojekt zum Verständnis unserer Zeit aus Badiou und gegen Badiou – hin zu einer ontologischen, speziell platonischen, post-cohenschen Liminal-Philosophie, mit der es möglich ist einen – beinahe wahren Begriff unserer Zeit zu bilden, einen letzten metaphysischen Mythos herausgestellt werden kann, d.i. unserer Zeit nach dem sicheren Überschreiten des 1,5 Grad Ziels und dem Aufstieg der neuen Rechten, dem Brexit, Trump und der jüngsten Asylwende, in welche die heutigen politischen Prozesse getaucht sind. „Liminal“ im Sinne des Übergangs oder der Grenze, einerseits 1., weil wir selbst in einer Epoche des Übergangs stehen, inwiefern unsere politischen Systeme und Ideen allesamt an der ökologischen Krise gescheitert sind, andererseits 2. weil die Liminal-Philosophie keine richtige Philosophie (im Sinne von Badiou) ist, sondern das Scheitern bisheriger Philosophie feststellt, einige „Reste“ zur Defensive behält und auf eine neue vorweist, die mit einer neuen Politik erst auftauchen könnte. Die Liminal-Philosophie ist nicht nur ein „Erzeugnis“ aus Badiou, sondern zugleich die Kritik seiner Überzeugung, er habe hier „unsere Zeit“ vollständig getroffen – ich beanspruche, rein immanent von seinen Voraussetzungen her trifft die Liminal-Philosophie unsere Zeit besser; zugleich zeige ich damit aber auch, dass Badiou (als Hypostase von 68, der letzen großen Revolution) tatsächlich der Hegel unserer Zeit ist – es ist eine Aktualisierung, Kritik und Bewährung in einem.
Die politische „Linke“ ist (wie exponiert werden soll) nichts anderes als die wissenschaftliche Aufklärung und der Wille, sie politisch werden zu lassen, also nichts an positiven Bestimmungen und Setzungen übrig zu lassen, was nicht einer wissenschaftlichen Rechtfertigung standhält, und sonst alles in Selbstbestimmung überführt. Dieses Ziel ist aber schon immer auch das Interesse der Philosophie gewesen, sie war immer schon der Aufklärung verpflichtet und ihrer Politisierung. Daher gibt es eine intrinsische Verbindung von (wagender, in die Zukunft blickender, neue Wahrheiten erringender) Philosophie, welche Meinungen, Gewohnheiten, Unterdrückung, Hingenommens und die Tradition in Frage stellt, und der Linken. Die Philosophie wird von Natur aus exponieren, was – nach dem gemeinüblichsten Verständnis – die „linkesten“ oder avanciertesten Gedanken einer bestimmten Zeit sind. Umgekehrt kann das als Links gelten, was (natürlich verschiedene) Philosophien einer Zeit herausheben. Die Rechte ist demgegenüber die Negation davon, die Trägheit in den Meinungen, der Sinnlichkeit, den Machtstrukturen, vielleicht auch der herrschaftserhaltenden Religion. Die Liminal-Philosophie kann daher natürlicherweise auch als Bewältigung der philosophischen Konfliktlinien der gegenwärtigen „Mosaiklinken“ gefasst werden, also der epistemologischen, normativ-politischen und weltanschaulichen Spannungen zwischen Umwelt- Identitäts- und Klassenpolitik und ein möglicher „Vorschlag“ ihrer weltanschaulichen Reformation bzw. ein Aufweis ihrer jüngeren Tendenzen. Jetzt wo alles niedergeht, insbesondere in Deutschland, dem Land der zerstörerischen Verbrennermotoren und des Vergangenheitsbewältigungssendungsbewusstseins, verliert man das Gefühl dafür, was eigentlich links war und ist (also der Aufklärung und ihrer Politisierung entspricht). Die allgemeine Ideologie aus alten philosophischen Gedanken fügt sich hier mit dem staatlichen, privaten und sozialen Infotainment und den losen Gedanken des Bildungsbürgertums zusammen, und muss in Frage gestellt werden. Die Liminal-Philosophie sammelt mit und gegen Badiou also die avandgardistischen Antworten auf die gegenwärtige Krise der Linken / der von Aufklärung ausgehender Politik, die gegenüber dem Überschreiten des 1,5 Grad Ziels und der neuen Rechten noch nie so schwach und noch nie so notwendig war, uns führt sie zu einem System zusammen. Das ist natürlich nur ein philosophischer Eingriff, der keine politische Strategie oder Anweisung sein kann, die Allgemeinheit, die beansprucht wird, liegt ganz woanders, und richtet sich gegen andere Philosophie, z.B. die Postmoderne, die liberalistische kritische Theorie, die religiöse Verflachung des Erbes von Badiou durch Meillassoux. Auch wenn dieser Effekt beabsichtigt ist, darf die Philosophie nicht der gefährlichen Tendenz verfallen, bloße Dienstmagd der Politik oder – nach Althusser „des Klassenkampfes“ zu werden, und sich jedem möglichen Bündnis oder jeder politischen Empfindlichkeit anzubiedern, distanzlos die Meinung der Politik und der Arbeiter wiedergeben, das würde in einem Desaster der Politik enden. Vielmehr muss die Philosophie, wie Badiou und Althusser sagen, auch stets andere Bedingungen haben, denen sie sich unterwirft – die Philosophie ist nur als ein Flittchen unabhängig, welches sich mehreren Wahrheiten, mehreren Herrinen hingibt und unterwirft, also der Wissenschaft, der Politik, der Liebe, der Kunst. Das heißt hier konkret: Die Liminal-Philosophie wird die Wissenschaften (Mathematik, Physik, Klimaforschung, Biologie, Genderforschung, Geschichte, Psychoanalyse etc.) als gleichwertigen Bezugspunkt zur Politik nehmen, sie erfassen und systematisieren, und dasselbe auch mit gegenwärtigen Formen der Kunst und der Liebe tun, dann zuletzt die Geschichte der Philosophie, sodass es da auch einen Einspruch gegen die faktische Politik gibt. Damit „erzeugt“ sie eine neue Philosophie, die eine Politik auf ihren Realismus und ihre Einsicht in die eigene Zeit hin überprüft; dieser politische Effekt ist aber nicht ihr primäres Ziel, sondern ihr Ziel ist (wie bei aller Philosophie) die Kohärenz und Kompossibilität zwischen den Wahrheitsprozessen. So folgt also eine mögliche, zeitgebundene Einheit der Linken aus der Einheit der Philosophie, wenn diese selbst in der faktischen Bündnispolitik vielleicht gar nicht existiert. Es ist ein Rettungsversuch während des allgemeinen Einsturzes, wie ein Fallschirm, der den Aufschlag abfedert, nicht unähnlich der politischen Bewegungen, auf die sie sich bezieht. Dabei ist aber klar: Sie kann und soll nicht kommandieren, die Praxis und ihre Bewährung steht über jeder philosophischen Theorie und Auseiandersetzung und suche nach Kohärenz. Faktisch verstößt reale Politik ständig gegen philosophische Ideen und das ist auch gut so. Die Philosophie kann nur vorausblickend weltanschauliche Hürden nehmen, damit sich die Politik freier weiterbewegen kann und wird ständig von der Wirklichkeit eingeholt. Materialistische Philosophe heißt, dass sie sich ständig neu anpassen muss, nicht umgekehrt die Politik an die Philosophie. Linke Philosophie ist eine Art Sediment oder Spur, die durch die linke, emanzipative Politik im Schnee (dem allgemeinen Denken) hinterlässt.
Hervorzuheben ist: Die Liminal-Philosophie ist nicht „die Wahrheit“, sondern eine tiefere, beinahe den Schein aufhebende Schicht des (durch den destruktiven Kapitalismus und seine anscheinende Unüberwindlichkeit erzeugten) Verblendungszusammenhangs, welcher einem etwa in einem globalen, durch den Klimawandel ausgelösten Generalstreik, einem revolutionär aufbegehrenden Handeln unmittelbar vorausgeht. Die Liminal-Philosophie wäre, in den Worten Benjamins, noch ein Kaleidoskop, insofern der falsche Eindruck einer immerwährenden Katastrophe, so wie auch ihre allgemeine Stimmung die des skeptischen Trübsinns ist, die politischen Prozesse, auf die sie sich stützt, sind so der trübsinnigen Revolte von Blanqui ähnlich. Das ist am einzelnen Problemzusammenhang zu zeigen: In der ökologischen Krise gleicht das menschliche Bewusstsein heute einer Schlafstarre in einem brennenden Haus: Wir verstehen die Situation mittels der theoretischen, wissenschaftlichen Vernunft, wir sehen dass es alternativen zum Kollaps gab uns gibt, uns fehlt aber die Praxis, d.i. wir wissen noch nicht, wie weiter, auch wenn jedes Quantum Aktivismus hilft um den Untergang abzubremsen. In der Sache der Queer-Politik und des Feminismus kennen wir die Lage und die Praxis, aber kämpfen gegen eine unendlich aufschäumende Welle des wiederaufkommenden Patriarchats an, der durch den Kapitalismus ständig wiederaufgeworfen wird, diese Arbeit gleicht der des Sysiphos. Der Trumpismus ist nur die hässlichste Fratze des heute überall aufschäumenden Faschismus, es ist ein allgemeines und globales Phänomen, das alle vergangen geglaubten Gespenster wiedererweckt. Die heutige Umwelt-Politik und Politik der Befreiung der Liebe sind als Tätigkeiten beide Folgen der Verhaftung im Denken des 20. Jahrhunderts, insbesondere der 68 erwachsenen Wahrheiten, die nun, in der aufkommenden Welle regressiven Gedankenguts, zu „unverhandelbaren“ und „überpositiven“ Momenten aktiver Vernunft werden. Beides – die grüne Politik, die Queer-Politik als Schutzwall gegen den bloßen Rückfall muss irgendwie überwunden werden, wir müssen im brennenden Haus erwachen und die Herren des Tarators zu entmachten, die uns in die Plackerei treiben, also die Wirtschafts- Politik- und Bildungselite. Zur dialektischen Kritik, zur bestimmten Negation, was an diesen sich erhebenden Gedanken anknüpft, ist Badiou unserer Zeit noch „zu fern“, daher ist die Liminal-Philosophie nicht nur eine „Berichtigung“ und „Bewährung“ an Badiou und eine Erfassung des Denkens unserer Zeit, sondern auch das Vehikel, um sich dieser gedanklichen Leiter in die Realität und unserer trübsinnigen Zeit selbst tatsächlich zu entledigen. Das schließt auch ein, dass die neuen kollektivistischen linken Politiken, welche die Liminal-Philosophie setzt und befürwortet, ihre Endlichkeit, Blindheit oder Zeitgebundenheit haben und bei einer Kritik der Liminal-Philosophie überwunden werden müssten, das liegt aber auch dieser Bewegung selbst inne, es ist das Mythische, das darin aufzieht und irgendwann zur Repulsion führt. Der Versuch, die Liminal-Philosophie zu Papier zu bringen ist auch der Versuch, die Grenzen, Einseitigkeiten, aber auch der gesellschaftlich-politischen Notwendigkeit dieser Weltsicht zu begreifen, in welche das linke Denken der heutigen Zeit hineingerät, wenn es aufmerksam in die Epoche hineinhorcht. Es ist von Angst, Trübsinn und Mutlosigkeit geprägt, der Angst vor der Masse, das ist unser Kaleidoskop. Sie ist ein ausgezeichnetes Phänomen von heute. Es kann sich durch den Begriff nicht ändern, nur durch einen Wandel der Lage im Ganzen.

Wie in diesem Beitrag dargestellt, besteht die Liminal-Philosophie mutmaßlich aus 3 Teilen, die alle jeweils eine linksradikale, aber noch nicht die Machtverhältnisse aufhebende „Orientierung“, sowie jeweils eine unabgeschlossene, im Nichts mündende „Große Erzählung“ darstellen, die aus der Postmoderne bzw. der Welt ohne Wahrheiten herausführen bzw. aufweisen, dass wir uns bereits in einer Welt voller aktiver Wahrheiten befinden (vor allem die globale Linke und ihre jüngeren Erscheinungen seit dem Aufkommen der neuen Rechten). Diese Geschichten werden durch die Liminal-Philosophie „erzeugt“, sind aber keine willkürliche, sondern den politischen Prozessen der neuen Linken „extrahierte“, implizit enthaltene Erzählung, die mit ihrer Konstitution aus der bisherigen Geschichte und ihrer Projektion der Zukunft oder besser ihrem Nicht-Projektieren der Zukunft zusammenfällt. Sie sind zugleich die „Wege des Subjekts“ der heutigen Zeit, mit dem sich die Möglichkeit zur Insurrektion, nämlich die „unterdrückte Mehrheit“ als das aufbegehrende Subjekt konstituiert oder besser: seinen endgültigen Niedergang aufzuhalten versucht:
1. Das Kapitalozän Denken – zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik nach dem Überschreiten des 1,5 Grad Ziels, Ökologie und Kapitalismus -> Mündet in einem spezifischen Umweltaktivismus und kämpferischer Sozialdemokratie (abgeschlossen, als ein Epizyklus, um Badious theoretische Philosophie zu verstehen und in ihrer Bedeutung für heute auszumachen). Hier wird das aufbegehrende Subjekt hinsichtlich seiner temporalen und räumlichen Ferne vereinigt oder dessen Spaltung aufgehalten. Das Subjekt des Klimawandels, das unterdrückt wird und an die Macht gehört, sind die Klimaflüchtlinge, die eben für uns in der zeitlichen und räumlichen Ferne sind, eben diese Ferne ist, welche die Unterdrückung ermöglicht, dafür, dass sie nicht repräsentiert werden. Die Wissenschaft rückt diese Leute heran, indem sie die Kausalbeziehungen aufweist, und induziert dadurch einen neuen politischen Prozess.
2. Liebe und Politik – zum Verhältnis von Liebe und Politik, zum Feminismus, zur Queer-Politik, Antirassismus nach dem Aufstieg der neuen Rechten und ihre Basis im Kapitalismus (in Arbeit) -> Mündet in einem spezifischen Minoritarismus / einer Art Identitätspolitik und kämpferischer Sozialdemokratie (möchte ich zum tieferen Verständnis von Lacan, Deleuze und Butler, die ich für die Promotion brauche, ausarbeiten, sofern es die Zeit zulässt). Es geht darum, die Identitäten zu befreien, die durch die Familienstruktur nicht repräsentiert werden. Hier wird das aufbegehrende Subjekt hinsichtlich seiner inneren oder gesellschaftlichen Unterdrückung vereinigt oder besser dessen Fraktionierung aufgehalten.
3. Den Transhumanismus denken – Kunst und Politik – zum Transhumanismus unter kapitalistischen Bedingungen (in ferner Planung, wahrscheinlich erst nach der Promotion oder Habilitation. Noch keine Materialsammlung erfolgt).
