Die Verdrehung von wahrhaft emanzipativem Interesse in eine systemstabilisierende Kraft ist ein mögliche, ungenaue Definition davon, was Ideologie im engeren Sinne ist. Ideologie im weiteren Sinne ist überhaupt systemstabilisierendes, reaktionäres Denken, im engeren Sinne ist sie gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie emanzipatives Interesse in systemstabilisierendes umwandelt. Sie entsteht vorzüglich da, wo emanzipativ interessierte Aktivisten, Gewerkschaftler und Intellektuelle ihre eigene Untätigkeit rechtfertigen wollen, was wiederum vor allem da geschieht, wo sie beginnen, trotz ihrer radikalen Vergangenheit Teil der gesellschaftlichen Elite zu werden. Das perfekte Beispiel für eine Ideologie im engeren Sinne ist Hegel, der von seiner wilden revolutionären Jugendzeit abkam, und zur Rechtfertigung dieser Abirrung zunehmend reaktionäre Gedankenbildungen hervorbrachte, die stets und immer zum Resultat haben sollten, dass es ja noch viel vernünftiger wäre, von der Revolution und ihren Idealen zu lassen, als sie zu vollziehen. Hegels System ist eine einzige Selbst-Rechtfertigung dafür, trotz dieser Tatsache nicht reaktionär oder unvernünftig geworden zu sein. Dies zeigt 7 ideologische Akkumulatoren auf, gegen welche die Liminal-Philosophie vorzugehen hat.
Was gibt es heute für Verdrehungen des emanzipativen Interesse in solches, das systemerhaltend ist? Es gibt zunächst 3 prototypische Verdrehungen:
- Die Klimakatastrophe wird zum einen erst genommen, dann aber wird sie zum Anlass genommen, die wissenschaftliche Rationalität selbst anzugreifen. So entsteht eine Serie von ökoligischer Ideologie, welche in Annäherung an Heidegger oder der Lebensphilosophie à la Klages den Kapitalismus als eigentliche Quelle der Katastrophe aus der Schusslinie nimmt. Beispiele dafür sind Latour, Morton, Bennett, der Neomaterialismus, ihr Schlagwort ist das Anthropozän. Die Wirkung davon ist auch eine Untergrabung von genau der Quelle der Kritik, welche die Katastrophe aufdeckt. Häufig geht es damit einher, die ökologische Sache vom Antikapitalismus und den Gewerkschaften abzulösen. Es ist häufig, aber nicht immer eine Verirrung, die in den Linksliberalismus, den Antirationalismus und den Konservatismus führt.
- Der Faschismus wird als Bedrohung ernst genommen, aber er wird zum Anlass genommen, die materialistische Befreiung der an sich bestehenden Begierden insgesamt anzugreifen. Die Existenz von Begierden und Strebungen an sich, vor dem Gesetz und der gesellschaftlichen Struktur wird verneint, sodass auch eine Befreiung unmöglich wird. So entsteht und reproduziert sich eine eigentümliche Form der Ideologie, welche in Annäherung und Fortführung der Postmoderne den Kapitalismus als Quelle der Katastrophe aus der Schusslinie nimmt. Beispiele davon sind Foucault und Butler und die verschiedenen Nachfolger auf dieser Linie. Die Wirkung davon ist auch die Untergrabung der Quelle der Kritik die es ermöglichen würde, den Faschismus zu attackieren, der gerade die Unfreiheit hervorbringen will. Auch hier geht es damit einher, die antifaschistische Frage vom Antikapitalismus abzulösen. Es ist häufig aber nicht immer eine Verirrung, die in den Linksliberalismus, den Antirationalismus und den Konservatismus führt.
- Die kapitalistische Realisierung des Posthumanismus wird enrst genommen, dann wird sie aber zum Anlass genommen, das Projekt einer zielgerichteten Erweiterungen des Grenzen des Menschseins insgesamt zu attackieren. So entsteht eine neue Variante der Ideologie, welche teilweise offen humanistisch daherkommt, teilweise, wie bei Braidotti, die Möglichkeiten kritiklos affirmiert; sodass außer acht gelassen wird, dass das Problem des heutigen Posthumanismus dessen Realisierung unter dem Vorzeichen des Kapitalismus ist. Auch dies führt in beiden Varianten zum Linksliberalismus, zum Antirationalismus und zum Konservatismus.
Heute Ideologiekritik muss gerade das Gegenteil schaffen: Die Impulse, die sich gegen das Klimaverbrechen wenden, gegen den Faschismus, gegen die kapitalistische Posthumanität, an den Antikapitalismus zu knüpfen. Die Lösung für alle diese Schwierigkeiten ist ein materialistisches Weltbild. Der Weg dorthin mag über die 3 Liminal-Philosophien reichen. Heutige Umweltbewegungen, antifaschistische Bewegungen scheinen zumindest der Anlage nach, manche der Wirklichkeit nach bereits diese Kritik zu vollziehen und sich aus den genannten Formen abzulösen. Nur dort, bei den entsprechenden politischen Bewegungen, ihren Gütern, Imperativen, normativen Ideen, ihrem Geist und ihrem Gefühl kann der Ansatzpunkt für eine Ideologiekritik wirklich gefunden werden, die daraufhin auf das ganze Ausmaß der Tradition zurückstrahlt. Wie weit sie den Antikapitalismus in einer angemessenen Form realisieren, ist wiederum eine andere Frage. Hier kommt eine zweite Gefahr ins Spiel, gegen welche die Liminal-Philosophie vorzubeugen hat:
Die rückwärtsgewandte Trotzigkeit im Antikapitalismus, welche für Marxisten aber auch manche andere linksradikale Kräfte typisch ist – u.a. auch Badiou, und nicht weniger gefährlich ist wie diese obigen Abdriftungen in das Reaktionäre, geht davon aus, man könne und müsse folgende Revolutionsversuche, die schonmal gescheitert sind, noch einmal versuchen, was letztlich nur wieder den Sieg der Kapitalisten mit sich führen wird – und insofern auch reaktionär ist. Auch hier werden emanzipative Bestrebungen verdreht. Dies wäre:
- Den Babeufismus / Blanquismus, also die Verschwörung als Weg zur Revolution.
- Den Aufstand der Arbeiter nach Marx und Luxenburg
- Den Leninismus / Stalinismus: Heute als Neoleninismus auftretend (Malm und Co.)
- Den Maoismus / europäischen Aufstände von 68 (Badiou, Operaisten und Co.)
Nur wenn ernsthaft der Punkt angenommen wird, dass der Umsturz des Kapitalismus zwar möglich ist, der richtige Weg dorthin noch nicht gefunden ist, was eine Negation sowohl der einfachen oben genannten Lösungen, als auch der linksliberalen oder sozialdemokratischen Abweichung einschließt, kann eine heutige Orientierung der linken Politik gelingen.
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