Wozu Materialismus in der Klimakrise?

Bei Macy oder Hallam, aber auch vielen anderen Denkern der Deep Ecology findet man allzu gerne die Positition, dass der „Materialismus“ irgendwie problematisch oder sogar die Wurzel der Naturzerstörung sei. Unter solchen Bedingungen scheint es gewagt und notwendigerweise eine Rückfrage wert, warum die zu dieser ökologischen Krise ersonnene Limimal-Philosophie sich konträr dazu unmittelbar als „materialistisch“ präsentiert, meint es wäre gerade der angemessene Weg, und sich sogar auf eben diese Aktivisten und Denker beruft. Wie ist also diese Position zu rechtfertigen?

Der Anlass für eine materialistische Position hat philosophiehistorisch betrachtet im Wesentlichen seine Wurzel in zwei Punkten. Zum einen 1. findet sich die Position vor, den Wissenschaften einen Vorzug zur Weltdeutung zu geben, und zwar gegenüber der Religion und der Metaphysik. Hierbei ist vor allem die Naturwissenschaft in Form der Physik, Chemie, Geologie usw. der Anlass gewesen. Die Mathematik scheint – für die meisten – nicht zu einem materialistischen Weltbild zu führen, wenngleich gerade bei Badiou und der Liminal-Philosophie eine Art platonischer Materialismus vertreten wird, also ein Materialismus, der sich aus der Wissenschaft der Mathematik und nicht der Physik ergibt. Andere Wissenschaften wie die Biologie und die Geisteswissenschaften führen unüberlegt nicht zum Materialismus, vielmehr torpedieren sie diesen. Eine vernünftigte Begründung dieser Wissenschaften wird aber nicht umhinkommen, dass auch sie nur funktionieren, wenn man ein materialistisches Weltbild hat und sie als von der exakten Naturwissenschaft abhängige Wissensform begreift – und die exakte Naturwissenschaft wiederum als von der Mathematik abhängige Naturwissenschaft. Zum anderen 2. findet sich auch vor, dass Materialismus aus politischen Gründen angenommen wird; dies ist allerdings insofern verkehrt, als dass nicht aus politischen Gründen eine theoretische Position gerechtfertigt werden kann – wenn überhaupt nur umgekehrt, d.i. aus theoretischen Gründen, wie das man den Wissenschaften einen Vorzug geben will, wird Materialismus angenommen, und daraus folgen dann politische Ideen oder besser: Es werden politische Begründungsfiguren ausgehebelt, was gleich näher erläutert wird.

Aus dieser kleinen Überlegung ergibt sich unmittelbar die Basis für die Annahme des Materialismus in der Klimakrise. Der Materialismus ist die beste Grundlage dafür, die Klimaforschung als Wissenschaft vollwertig zu etablieren. Nur in einem materialistischen Weltbild gewinnt sie ihre volle Bedeutung. Bedeutet das aber umgekehrt, dass im Idealismus, Konstruktivismus oder der Metaphysik die Wissenschaften, speziell die Klimaforschung ausgehebelt werden? Ja und Nein. Sie werden ihre volle Kraft zur Weltdeutung jedenfalls nicht entfalten, sie werden alle eine „Hinterwelt“ annehmen – die des Bewusstseins, der geistigen Kräfte in der Natur, der Konstitution durch ein tranzsendentales Subjekt, einen Ort der Freiheit und der Seele und für Gott usw. Dies muss nicht unbedingt darauf hinauslaufen, dass die Wissenschaften für falsch erklärt werden, wohl aber verlieren sie ihre Kraft, alles aufzuschließen. Für den Materialisten gibt es nichts, was der Wissenschaft entzogen ist, bzw. alles Seiende ist wesentlich wissenschaftlich beschreibbars Seiedes. Das bedeutet nicht, dass es nicht sachhaltige Rede und sachhaltige Beschäftigung mit anderen Dingen als mit Wissenschaft gibt – so wie in der Politik, die das Gute will, oder die Kunst, die das Schöne genießt. Das Seiende ist aber wesentlich ein Thema, das den Wissenschaften eigen ist, und was sie der Religion, welche über den Anfang und das Ende der Dinge ebenfalls spricht, und der Metaphysik streitig machen sollte. Es gibt dennoch, über diese Aushebelung einer Hinterwelt, auch sachhaltige Gründe für diese Negation eines „Dahinter“: Metaphysik ist wesentlich falsch wenn sie aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet wird. Und Konstruktivismus – wie er etwa im transzendentalen Idealismus und der Phänomenologie gepflegt wird, ist eine klare Beschränkung der wissenschaftlichen Erfassbarkeit.

Die Popularität von metaphysischen Konstruktionen – etwa die Annahme der Freiheit, von geistigen Kräften, von Gott, von Gaia usw ist deswegen für die Grundlage der Klimaforschung fatal. Sie haben dennoch eine hohe Popularität, weil die politische Bestrebung, etwa der Naturschutz, hierdurch zu einer nicht bloß gesetzen, sondern bestehenden oder von den Dingen aufgetragenen Aufgabe wird. Wenn die Natur es selbst will, dass sie geschützt wird, ist der eigene politische Wille nicht mehr aufoktroyiert, nicht mehr gewaltsamer Eingriff. Die Annahme, dass die Natur von sich aus geschützt werden will, ist aber nicht weniger plausibel als das Gegenteil; Aristoteles hielt die Vernunft als geistige Kraft in der Natur für eine, welche dem Menschen die Herrschaft über die Tiere und Pflanzen gab, jahrhunderte über haben Menschen geglaubt, Gott hätte dem Menschen die Welt zur Ausbeutung übereignet. In beiden Fällen handelt es sich um die Hypostase der eigenen politischen Ziele zu solchen der Natur. Es ist letztlich nicht unähnlich der Erotomanie der Schizophrenen, die annehmen, irgendeine ferne Schauspierlin, welche sie obsessiv lieben und ihr vielleicht sogar auflauern, würde sie tatsächlich zurücklieben, nur dass hier das eigene Interesse an der Natur als eines imaginiert wird, dass auch gegenseitig ist. Politik benötigt nicht intrinsisch solcher Hypostasen, egal ob sie religiös oder metaphysisch sind. Der Hass auf den Materialismus ergibt sich von allen Seiten des politischen Spektrums aus der einfachen Tatsache, dass er solchen Märchen ein Ende bereitet. Der Natur ist es gleichgültig, was wir mit ihr tun. Ihr ist es sogar gleichgültig, ob es überhaupt Leben auf der Erde gibt. Sogar Gleichgültigkeit ist zu viel der Ähnlichkeit mit Interessen. Lebewesen und Menschen sind die Wesen, welche Sinn in diesen an sich sinnlosen Zusammenhang hineinbringen. Nichts im Universum hat uns aufgetragen die Natur untertan zu machen, nicht weniger, als dass es uns verboten hat es zu tun. Dieser Gedanke ist für viele schwer zu tragen, vor allem politisch kämpfende Menschen imaginieren sich gerne solche Hypostasen, als Stütze ihrer eigenen Interessen. Die materialistische Wissenschaft reißt solche Ideen aber ein, daher erklärt sich auch, dass sie eine Einstellung ist, welche hypostasierende und politische Gedankengebäude von anderen einreißt. Was sie aufweist, ist eine tiefe Abhängigkeit von dieser physischen Natur, damit aber nicht von einer wärmenden Mutter, die uns immer ein Stückweit ähnlich bleibt, sondern einer bizarren, fremden Welt, die überwiegend aus Staub, Strahlung und Leere besteht und in unmenschlicher mathematischer Verkleidung für uns intelligibel wird. Sogar die natürlichen Zahlen, mit denen wir gewohnt sind zu rechnen, sind für diese Instanz nur ein regionales Problem, die sich in immer absurderen und ferneren mathematischen Objekten, etwa von höheren Differenzialgeometrie-Infinity-1-Topoi ausdrückt, wie etwa die Stringtheorie und andere Quantengravitationslehren ausgearbeitet werden können. Diese Abhängigkeit vom Stoff mit Liebe, Schuld oder irgendwas Vergleichbares zu erwiedern misslingt allerdings, denn schon das wäre eine Vermenschlichung, eine Verkleinerung dieser Fremdartigkeit. Sogar Wissenschaftler dieser Felder wehren sich aber dagegen, diesen basalen ontologischen Status einzuräumen, besser bleiben sie bei einer letztlich idealistischen oder konstruktivistischen Haltung stehen, was sie erforschen würden, wäre nur eine Welt neben den anderen.

Auch wenn es viel linke, liberale und rebellische Metaphysik und Religion gibt, Deep Ecology, Existenzialismus, Kantianismus und viele andere wären hier zu nennen, so ist sie doch tendenziell ein Merkmal von Herrschaftsideologien. Das heißt, politische Kräfte, welche überlegen sind, die dominieren, die von den herrschenden Schichten und Gewalten ausgehen, schützen sich eher mit Metaphysik und Religion, als das aufständische, unterstrückte und aufstrebende politische Kräfte Metaphysik und Religion annehmen, um die Herrschaft der anderen zu stürzen. Daher kommt es, dass Materialismus, auch wenn er letztllich überhaupt keine konkrete Anweisung gibt, was mit der Natur zu tun sei, eher rebellisch ist als konservativ. Indem der Materialismus nur der Wissenschaft und dort besonders der basalen Naturwissenschaft alle Deutungshoheit über die Natur gibt, wird Herrschaft ausgehebelt. Bei der Biologie, Psychologie und Geisteswissenschaft wird dieser Effekt allerdings abgeschwächt, wenn nicht gar verdreht, da sie ebenfalls zu Hypostasen neigen, wenn sie sich nicht explizit als Wissenschaften begreifen, welche von der Physik abhängige Strukturen beschreiben. Sie sind Wissenschaften des Emergenten und damit mit der Politik verwandt. Was der (wohl verstandene) naturwissenschaftliche oder mathematische Matetialismus wirklich übrig lässt, ist eine losgelöste und daher erst wirklich drängende politische Frage, also eine, die man nicht einfach auf irgendwelche hypostasierten Ideen, geistigen Kräfte, Gott oder ähnliches beantworten lassen kann, die Interessen vertreten und auftragen. Nur wenn klar ist, dass wir mit der Welt machen können, was wir wollen, dass alles erlaubt ist, dann erst kann die politische Frage voll aufflammen. Dann werden Fragen gestellt, vom Volk, von den Unterdrückten. Tatsächlich muss dies keineswegs bedeuten, dass diese Ideen fallen gelassen werden, die einst durch Religion oder Metaphysik aufgezwungen worden sind. Sie werden aber fortan als das erkannt, was sie eigentlich sind: Eine Willensbildung des Menschen, und sie werden entsprechend neu beurteilt werden müssen. Es ist eine durchaus mögliche Idee, dass man der Überzeugung sei, die Welt solle von Menschen beherrscht und geknechtet werden. Nimmt man ihr aber die religiöse oder metaphysisische Begründung, dass Gott sie will, muss sie sich der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenteil stellen, und dann mag es auffallen, wie willkürlich sie ist. Aufgrund dieses Umstandes konvergiert tatsächlich der Materialismus mit der Demokratie, denn sie ist eine Weise, mit einer Welt, in der alles erlaubt ist, zugleich alles verboten ist, – ein Vakuum an Richtung existiert, ein Zusammenleben zu suchen, das aller Willkür in Rechnung zieht und dann eine gemeinsame Willkür für diese eine Welt bildet. Demokratie ist daher kein Wert neben anderen, von dem man sagen ließe, dass man von abstrahieren kann.

Welche Variante des Materialismus anzunehmen sei – ob ein naturwissenschaftlicher oder mathematischer – ist letztlich an der Frage zu entscheiden, ob und inwiefern die Mathematik oder die Naturwissenschaft eine größere Spannbreite des Denkens erlaubt. Ist die Physik nur ein Teilproblem der Mathematik oder umgekehrt? Und diese Frage lässt sich heute leicht in die Richtung beantworten, dass die Physik nur eine verschwindende Insel in einem Ozean der viel größeren Mathematik ist. Physik ist das Festgefahrensein in der eigenen, provinziellen Blase, gegenüber der unermesslichen Unendlichkeit anderer Strukturen, die sich an den großen Kardinalen, den verschiedenen mathematischen Objekten topologischer, algebraischer und arithmetischer Art entscheiden. Hier beginnt erst der Aufzug einer viel größeren Welt. Sie ist aber, anders als Platon und wohl auch D’Alembert oder Spinoza noch glaubten, nicht Ausdruck einer göttlichen metaphysischen Ur-Idee, sondern ein Feld, dass aus willkürlichen Axiomen entstreht, die sich in formale axiomatische Systeme fassen lassen. Manche dort sind stärker als andere, manche auch gleich stark, wie es die Größe des Kontinuums ist.


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