Eine nicht unwesentliche Frage jeder theoretischen Philosophie ist die Frage nach dem, was ist, und auch, wie es erkannt werden kann – durch Wissenschaft, durch Offenbarung, durch Interpretation. Auch ist davon isoliert natürlich die Seinsfrage, also die Frage, was das Sein ist, unabhängig vom Seienden. Was gibt es für Gegenstände? Und wie verhalten sich die Wissenschaften dazu? Welche Gegenstände können auf was reduziert werden? Hierzu gibt es bekanntlich viele Überzeugungen.
Allgemein lässt sich das eigentlich philosophische Denken da ansetzen, wo es gegen die Meinung und die Willkür vorgeht, wo es also eine deutliche Abkehr von der Religion, der Offenbarung, der Verschwörungstheorie und der Esoterik vollzieht. Nur das, was begründeterweise ist, ist auch wirklich. So folgen die Philosophen Thales, ihrem Begründer, und Sokrates, der diese Tätigkeit erst eigentlich auf den Begriff brachte. Daher erhalten in der klassischen Philosophie wissenschaftliche Prozesse, die begründen und ergründen was ist, die anfechtbar, falsifizierbar und transparent sind, die Aufgabe, das Seiende aufzudecken. Die Philosophie ist so von sich aus der Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet und wird daher das Sein daran koppeln, was natürlich nicht heißt, dass sie sich ausschließlich an diese Prozesse koppelt (es gibt auch Kunst, Politik, Liebe usw). Die Frage ist nur: Welche Wissenschaft hat vorrang – Geisteswissenschaft, Mathematik, Naturwissenschaft? Was ist überhaupt eine Wissenschaft?
Auch hierfür gibt es zwei Lösungen: Die erste wäre anzunehmen, dass die Philosophie diese Entscheidung fällt, und dabei eine Art überlegener Diskurs ist, eine Ober-Wissenschaft. Als solche hat man die Philosophie immer schon begriffen, von Platon, über Aristoteles bis Descartes, Leibniz, Kant, Hegel, Hussserl, es nimmt kein Ende. Erst mit Marx, Lenin und Althusser kam etwas Bewegung in dieses Überlegenheitsdenken: In der historischen Rückschau fällt auf: Eigentlich war es nicht so, dass die Philosophie souverän darüber entschieden hat, was Wissenschaft ist. Sondern umgekehrt hat sich eine Philosophie den Wissenschaften ihrer Zeit gebeugt. Eine Philosophie, die sich dieses Umstandes bewusst ist, ist materialistisch. Sie wird also erkennen, dass es eher so ist, dass sie nachträglich den Wissenschaften ihre Begründung gibt statt umgekehrt. Damit ist die Frage, welche Wissenschaften überhaupt Wissenschaften sind, und welche vorangeht, aber nicht beantwortet worden. Aber es gibt eine Anzeige davon, wie es möglich ist. Letztlich sind die Wissenschaften ihrer Zeit Maßstab ihrer selbst, sie müssen nur miteinander kompatibel gemacht werden (und auch mit anderen Wahrheitsprozessen). Und die Frage ist, welche davon diese Aufgabe primär übernimmt, sodass alle übrigen daraus entwickelt werden können. Hier gibt es aber natürlich auch verschiedene Möglichkeiten und auch Gefahren von Konflikten.
Allgemein wird die Liminal-Philosophie mit Badiou setzen, dass Ontologie = Mathematik ist, sie also als oberste Wissenschaft ansetzen und dann auch konkret, dass die elementare und allgemeine Ontologie der allgemeinsten Eigenschften überhaupt = Mengenlehre ist, und dann weiter das ZFC als das bislang stärkste bekannte Axiomensystem. Es ist zu betrachten, wie weit man mit diesem Ansatz kommt, und ob es so möglich ist, alle übrige Wissenschaft so weit wie möglich zu integrieren. Die Mengenlehre existiert selbst in einer Kategorie namens Sets, es werden also Mengen „Set“ existieren, dann Funktionen zwischen Mengen, die zugleich auch Mengen sind, und die Kategorie der Mengen Sets. Diese ist nach der objektiven Hierarchie der Mengen entlang der großen Kardinale organisiert. Jedes große Kardinal ist ein Entscheidungspunkt gegenüber einem Axiom großer Kardinale, das unabhängig ist. Es ist möglich, fast alle mathematischen Gegenstände auf Mengen zu reduzieren, sie sind Mengen mit zusätzlichen Eigenschaften. Folglich wird es davon abhängig eine Klasse von mathematischen Gegenständen überhaupt geben, welche direkt davon abhängen und sich in regionalen Ontologien aufhalten, so als Beispiel topologische Räume in Top.
- Mengen, geordnet nach der Ordnung der großen Kardinale -> in Sets, die formale und allgemeine Ontologie überhaupt. Dabei ist FinSets eine vollwertige Subkategorie von Sets, und ähnlich verhält es sich wohl auch mit allen übrigen Kardinalen, sie bilden jeweils Punkte, an denen sich Teile von Sets unterscheiden lassen. Die Menge aller Mengen existiert nicht, denn sie ist eine vollwertige Klasse und wird meist mit V bezeichnet. Sie wäre nach gemeinüblicher Auffassung das „allgemeine Sein“ selbst und der Kategorie der Mengen Sets zugeordnet, als des Objektbereichs, begriffen als Klasse. Erkannt wird dieses basale Seiende durch die Mengenlehre und die Kategorie der Mengen, ein ETCS.
- Mathematische Objekte wie Räume -> in Kategorien, die jeweils einzelne regionale Ontologien darstellen. Mutmaßlicherweise überträgt sich die objektive Ordnung der Kardinale auch auf die übrigen mathematischen Objekte, also das heißt, es gibt auch endliche und unendliche topologische Räume usw. Auch hier müsste man wohl annehmen – dass es keine „Menge aller topologischen Räume“ gibt, auch wenn das jeweils bei den Kategorien sehr unterschiedlich ist, manche Kategorien sind hinsichtlich der Objekte auch vollwertige Mengen. Erkannt wird dieses erweiterte Seiende durch die anderen Zweige der Mathematik, wie die Topologie, die Algebra usw. Das Wechselverhältnis dieses erweiterten Seienden wird in der Kategorie der Kategorien untersucht Cat.
Allgemein lassen sich alle mathematischen Objekte auf Mengen reduzieren, wenn sie auch nicht immer nur Mengen mit zusätzlicher Struktur sind. Diese Reduktion ist aber auf verschiedenem Weg möglich. Daher ist es nicht angemessen zu behaupten, dass es nur Mengen gibt, die anderen mathematischen Objekte haben ihren eigenen, reduzierbaren und emergenten Seinsstatus. Bevor erkannt ist, was ein mathematisches Objekt ist, kann man aber sagen, dass es eine Menge sei. Es ist in dieser Hinsicht sowohl die Zusammensetzung als auch die Unbestimmtheit von anderen mathematischen Objekten. Damit wäre der der mathematische Himmel der objektiven Existenz beschrieben. Zentral ist, dass diese Objekte Individuen sind, d.i. sie sind Einzeldinge, keine „Begriffe“. Begriffe existieren nicht wirklich. Am ehesten wären die Kategorien und die Klassen wie Begriffe. Sie bauen, wie die Mengenlehre des ZFC zeigt, wesentlich auf der leeren Menge auf. Die Einführung von Urelementen ist in den mathematischen Systemen auch immer möglich, und steht da für Dinge, die nicht in die jeweils betrachtete Kategorie gehören. Man kann sich dieser Gedankenfigur bedienen, um die Physik einzuführen, man erhält sich eine mathematische Typentheorie, der man die physische Welt zuordnen kann. Jedem Urelement entspricht dann ein Atom der physischen Welt. Dem zufolge müsste noch unterschieden werden:
3. Die unreinen Mengen, welche das physische Universum oder andere, alternative physische Universen bedeuten, aber so, dass die Struktur desselben eingeklammert ist. Die unreinen Mengen können entsprechend wieder endlich, unendlich, unerreichbar-Unendlich usw. sein. Die Physik untersucht implizit diese unreine Menge, die das physische und wahrnehmbare Universum ist. All das findet aber in den mathematischen Mengen selbst statt, die nur durch Urelemente ergänzt sind, denen man ein Stück Wahrnehmung zugewiesen hat.
4. Die unreinen mathematischen Objekte überhaupt, konkret etwa die mit Urelementen als Punkten gefüllten topologischen Räume, von denen das physische Universum eins ist. Das physische Universum ist aber nicht nur ein topologischer Raum mit einer bestimmten Struktur, sondern es ist auch eine differenzierbare und mutmaßlich glatte Mannigfaltigkeit, die entsprechend als Integral einer Differenzialgleichung zu begreifen ist, d.i. konkret der bestehenden Naturgesetze. Man kann diese Struktur „Weglassen“, sodass man nur noch die Elemente anschaut, und gewinnt so eine unreine Menge, sie lässt sich aber auch so begreifen, dass damit die ursprüngliche Information erhalten bleibt. Das eine Universum, das wahrnehmbar ist, wird in der Physik untersucht. Folglich ist auch die Physik ein bloßer Teilbereich der Mathematik.
Das physische Universum ist also nur eine spezifische „Füllung“ eines oben bei 2 genannten mathematischen Objekts, also ein topologischer Raum, der als Punkte die physischen Atome enthält; dieses lässt sich aber auch von seiner Struktur befreien, sodass man einfach eine unreine Menge erhält, die sich wiederum als eine bloße Menge in Sets begreifen lässt. Klar ist: Es kann in der Wahrnehmung nur ein Universum geben, man kann nur von einem physischen Universum wissen, dass es existiert, es kann sich aber natürlich zeigen, dass ein bisher für begrenzt gehaltenes physisches Universum sich als bloße Untermenge einer größeren erweist. So war für die Griechen das Universum ein endlicher topologischer Raum, näher ein euklidischer, der sich ann aber als unendlich erwies.
Ungeachtet dessen gibt es natürlich im Universum auch dessen Teilmengen, welche auch irgendwie existieren und die Welt der physischen Dinge bedeuten, wie Ziegen, Kometen, Menschen, Häuser, Murmeltiere. Irgendwann, bei immer näherer Unterscheidung, kommt man zu ihren Elementen und Atomen. Sie haben wohlmöglich auch eine bestimmte mathematische Struktur, die über bloße Mengen hinausgeht, sie sind selbst räumlich und differenzierbar usw; und auch bei ihnen lassen sich die Urelemente eleminieren, um nur die mathematische Struktur zu gewinnen. Und so lässt sich festhalten, dass die physischen Objekte im Universum eine bestimmte „Idee“ darstellen, welche über das Universum hinausgeht, aber auch eine Idee darstellen, die auf eine spezifische Form im Universum ist, und welche das Individuum überschreitet. In unserem Universum sind Schafe z.B. das Essen von Wölfen, in einer denkbaren anderen phantastischen Welt nicht. Ein Dreieck z.B. hat in jeder Welt eine Winkelsumme von zwei Rechten, in der hiesigen Welt sind Dreiecke möglicherweise mit bestimmten weiteren Eigenschaften versehen. So gibt es also bei jeder mathematischen Idee deren allgemeine Variante Apriori, die ein Individuum im Universum der mathematischen Objekte ist, und ihre spezifische Form im vorliegenden physischen Universum, die an mehreren Orten instantieert ist (die vielen Schafe) und dabei bestimmte Charakterzüge hat (wird von Wölfen gefressen).
Zu ergänzen ist: Die Physik ist nicht nur ein Teil der Mathematik, sondern hat weitere Axiome und ursprüngliche Verfahrensweisen, die über sie hinausgehen. Sie beschreibt aber Gegenstände, die immer auch in der Mathematik existieren, d.i. z.B. einen topologische Raum, den wir Universum nennen, und der irgendwo in Top existiert. Die Physik geht auch so lange wie möglich davon aus, dass die Welt georndet ist, d.i. differenzierbar. Die Frage, ob das physische Universum bloß eine Psyche ist oder ob es körperlicher Natur ist, ist noch einmal eine Frage, die letztlich nie beantwortet werden kann, und daher nur axiomatisch entschieden werden muss. Insofern durch die Annahme, dass das Universum nur eine Psyche ist, viele Probleme und Fragen entfallen, ist klar, dass das kein Weg sein kann.
Damit wären 4 basale Formen des Seienden beschrieben. Ist damit aber alles beschrieben? Beileibe nicht! Denn dies beschreibt nur das fertige Seiende, nicht das Sein, aus dem sie hervorgegangen sind. Der Prozess der Gerinnung ist einer, welcher von Heidegger viel beschrieben und betrachtet worden ist. Im Leben, im konkreten Umgang schreckt das Dasein auf und kommt auf die Existenz der Dinge = Seiendes zurück, wie es in der Wissenschaft verfügbar gemacht wird. Dies ist aber nach Heidegger nicht primär, sondern verweist auf etwas Tieferes zurück, dieses Tiefere wird in der Geisteswissenschaft und in der existenzialen Analytik zumindest partiell zugänglich gemacht. Für uns Menschen ist das Sein das primäre, es wird in der Eigentlichkeit und der totalen Katastrophik erfahren. Somit gibt es „unter“ dem Denken im Seienden noch basalere Seins-Prozesse, in die wir eingebettet sind – so Heidegger. Er gibt entsprechend auch der Geisteswissenschaft indirekt das Primat. Heidegger ist insofern auch ein Philosoph, aber einer, der anderen Wissenschaften die Priorität gibt; auch wenn es bei ihm, könnte man anmerken, doch die Philosophie eher selbst ist, welche eben das Sein beschreibt, und nicht eine davon isolierte Geisteswissenschaft. Wo hier die Grenze liegt, ob die Daseinsanalytik und die Fundamentalontologie zwei Seiten desselben oder doch zwei verschiedene Fragen sind, sei dahingestellt.
Der Weg Heideggers ist aber nicht die hier verfolgte Variante der Hierarchisierung. Eben dieses „Sein“ lässt sich nämlich wieder in Seiendes, in naturwissenschaftlich/mathematisch erfassbares überführen, würde nun Badiou – und auch die Liminal-Philosophie einwenden, und es würde entsprechend nur einen vorläufigen, intermediären Status haben. Eben das Setzen von größeren Kardinalen oder das Ansetzen z.B. der Größe des Kontinuums ist dieses Überführen. Das Sein geht zwar dem Seienden temporal voraus, aber das Seiende hat zuletzt doch ein Primat. Dieses Seiende ist dann in der Wissenschaft, genauer der Mathematik und der Naturwissenschaft zu beschreiben. Aber das heißt nicht, dass das Sein gänzlich unvorhanden wäre, es bleibt als Horizont des Unbestimmten stehen, das subjektiv ist, und insofern behält auch die Geisteswissenschaft ihre Berechtigung, wenn auch eine untergeordnete. Für uns gibt es diese Unbestimmtheit, also ist sie auch ein geisteswissenschaftliches Phänomen, vielleicht sogar das ursprüngliche subjektive Phänomen überhaupt. Die mathematische Unbestimmtheit ist die am einfachsten zu beschreibende, aber natürlich gibt es dasselbe auch in der Physik. Mathematik und Naturwissenschaft wollen aber gerade dies auflösen, d.i. sie wollen erkennen, sie wollen konkret zeigen, in welcher Welt wir leben. Man müsste also noch eine weitere Aufteilung wagen:
| elementare Ontologie | Mathematik, Strukturiert | Physisch-Strukturlos | Physisch-Strukturiert | |
| Geronnnes Seiendes, wie in der Mathematik + Naturwissenschaft beschrieben | A1: Reine Mengen in Sets, strukturiert nach den großen Kardinalen | A2: topologische Räume, Algebra, Diffeitäten usw. in verschiedenen Kategorien | B1: Unreine Mengen von physischen Objekten | B2: Räume, Strukturen, Verknüpfungen von physischen Objekten = physische Dinge |
| Sein, Prozess: In der Geisteswissenschaft | C1: Das Sein als solches, reine Möglichkeit von Vielheit, bevor es Menge geworden ist. Existenzial Analytik | D1: Das konkrete Leben / Sein, bevor es Mengen von physischen Objekten wurde. Geisteswissenschaft |
Diese Dinge ließen sich alle noch viel genauer ausdrücken. Auch gilt es zu bemerken, dass dieses „Sein“ wohlmöglich in einer tieferen Betrachtung nur durch weitere und tiefere Formen des geisteswissenschaftlichen Denkens erfasst werden kann, die Heidegger missachtete. Ich denke hier an Levinas und Adorno, überhaupt die kritische und materialistische Phänomenologie.
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